Es sterben immer drei
Haltung zu bewahren. Die Ellenbogen auf dem Tisch. Bei einer so profanen Tätigkeit wie dem Kauen eines Marmeladenhörnchens bildeten sich zwei allerliebste Grübchen in ihren Wangen, und beim Schlucken verzog sie den Mund zu einer niedlichen Schnute. Dass alle, inklusive Stella, sie bewundernd anglotzten, schien sie nicht zu merken. Oder es war ihr egal. Oder sie war es gewohnt und nahm es gelassen hin. Kleemann war stolz auf sie wie eine Entenmutter auf ihr Küken und befummelte sie verstohlen indiskret, um allen Anwesenden zu demonstrieren, mein Terrain, Finger weg. Sie ließ es sich teilnahmslos gefallen. Es schien ihr nicht lästig zu sein, aber anzutörnen schien das Gegrabsche an ihrem Oberkörper sie auch nicht. Die beiden anderen Männer sabberten nicht wirklich, aber Stella konnte richtig zugucken, wie ihnen das Wasser im Mund zusammenlief. Sie verstand sie. Es ging ihr ja ähnlich. Das war ein Mädchen, das sogar in heterosexuellen Frauen die Lesbe kitzelte. Und einen ganz unfeinen Neid weckte. So würde man gern selber aussehen. Es half aberalles nichts. Man tat es nicht. Stella rang sich zu Großherzigkeit durch, aber nur weil kein eigener Mann im Raum Gefahr lief, gerade sein Herz zu verlieren. »Hallo, ich bin Stella«, sagte sie mit ihrem nettesten Lächeln, das sie in einer solchen Situation zustande brachte. Die junge Frau, laut Katharina »zu jung zum Malen«, tunkte ihr Hörnchen in den Kaffee, biss ab, zwei Kaffeetropfen blieben in ihren Mundwinkeln hängen und alle Männer schluckten mit. »Ich bin Marlene«, sagte sie. Die Funken in ihren schwarzen Augen streuten in alle Richtungen. Kleemann konnte nicht länger an sich halten und küsste sie innig auf die Wange. Sie wischte mit dem Handrücken den Kuss weg, lächelte ihn aber an. »Was ist denn hier passiert?«, fragte sie und deutete auf den Verbandskasten und das Pflaster an Stellas Arm.
»Jochen hat Stella mit einem Fasan verwechselt und ihr einen Schuss verpasst«, erklärte Kleemann.
»Unsinn.« Jochen wiederholte sich.
Marlene tippte mit ihrem Zeigefinger die Krümel ihres Croissants auf. Während ihre Zungenspitze zierlich den Finger abschleckte, schaute sie ihm tief in die Augen. »Killer«, sagte sie.
Er wandte den Kopf ab.
Stella konnte nicht feststellen, ob die beiden sich mochten oder hassten. Es konnte beides gleichzeitig sein.
Nach einem Schweigen, das sich wie eine Gedenkminute anfühlte, rang Jochen sich zu zwei ganzen Sätzen durch. »Ich muss nach der angeschossenen Taube suchen, sie ist wahrscheinlich schon verblutet. Soll ich Sie vorher nach Hause bringen, Frau Felix?« Er hatte sich inzwischen eine ungewöhnliche Portion Höflichkeit zusammengeklaubt. Wahrscheinlich nur aus Angst, sie könnte ihn um sein Vermögen klagen, unterstellte Stella ihm aus reiner Gehässigkeit.
»Spazieren gehen und nebenbei dilettantisch ein paar Täubchen abmurksen, super.« Kleemann fiel langsam lästig mit seinem sturen Beharren auf Jochens Verfehlungen.
Marlene hatte auch eine Idee. »Ich bring sie heim.«
»Du weißt doch gar nicht, wo sie wohnt.«
»In Ottos Haus. Ich bin schon mal auf der Straße an ihr vorbeigefahren.«
Es dauerte ein paar Sekunden, bis Stellas Gehirn die entsprechenden Verbindungen verknüpft hatte, dann nickte sie. »Sie waren das in dem roten Alfa.«
Marlene lächelte. »Du«, sagte sie. »Marlene und du.«
Jochen stand auf, Sekunden später hörte man den schweren SUV vom Hof rollen.
Andreas, den Stella völlig vergessen hatte, stand ebenfalls auf. »Dann wecke ich mal Renate. Ist ja schon spät genug.«
8
Marlene benutzte für die Fahrt zu Ottos Haus den hübschen roten Alfa, selbst in seinem vernachlässigten Zustand noch ein Kleinod. Die Schnauze eingedrückt, eine typische Alfa-Verletzung, weil Einparker beim Rückwärtsfahren seine tiefgelegte Front im Spiegel nicht im Blick hatten. Kratzer im Lack, zugefügt von Neidern, die schnell mal mit dem Schlüssel drübergingen. Übersät mit notdürftig überpinselten Rostflecken, die Rückleuchten kaputt und mit einem baufälligen Verdeck, dessen Klappmechanismus nicht mehr funktionierte. Ein Jammer. Aber alles noch original 80er-Jahre, mit Holzlenkrad und Armaturenbrett aus Nussbaum. Stella kannte sich damit aus. Ihr Vater hatte kurze Zeit ein Auto wie dieses besessen, bis ihre Mutter ihn überredet hatte, es wieder zu verkaufen. Aus Angst, Vater und Tochter könnten bei den Spritztouren in die Umgebung vor lauter Begeisterung im Straßengraben
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