Es sterben immer drei
Alltag in dem Städtchen hatte schon begonnen. Busse, Autos, Kleinlaster, Motorräder passierten Stellas Aussichtsplatz in einer nie endenden Karawane. Sie kam sich vor wie auf einer Tribüne, eingehüllt in eine Geräuschkulisse aus knatternden Vespas, kurzem, unerlaubtem, aber dafür umso nachdrücklicherem Gehupe und dem sympathischen Klang fröhlicher italienischer Stimmen. Sie fragte sich, warum Todi nicht, wie in italienischen Altstädten üblich, die wunderbaren, engen Gassen und Plätze für jedeArt von Fortbewegungsmitteln außer Fahrrädern und Füßen sperrte, musste aber gleichzeitig zugeben, dass dieses Gewusel der zu großen Autos in den zu kleinen Straßen zu einem echten Italien-Feeling gehörte.
»Puh«, sagte Luca und zog sich einen der Plastikstühle an den Tisch. »Dieser Mensch trampelt auf meinen Nerven.«
»Wer ist er denn?« Stella beobachtete den Mann in seinem dunkelblauen Nadelstreifenanzug und die blond gesträhnte Frau in etwas, das nach hellblauem Chanelkostüm aussah, aber vielleicht auch eine billige Kopie sein konnte. Seriös, die beiden. Er würde wahrscheinlich gleich in seiner Kanzlei verschwinden und sie mit der Haushaltshilfe das Programm für den Tag besprechen.
»Signore Cavallo. Der größte Gauner der Region«, sagte Luca. »Textilien, Holz, Immobilien, Landwirtschaft, Gastronomie und so weiter und so weiter.«
»Wieso Gauner?« Das Paar hatte sich nun ebenfalls an einen Tisch gesetzt, aber es dauerte nicht lange, bis der nächste Gesprächspartner auftauchte, man unterhielt sich kurz, alle drei lachten, dann verschwand der Unbekannte wieder und der nächste kam. So ging das ununterbrochen, als würden der Nadelstreifen Hof halten und die Untertanen und Bittsteller irgendwo in einem Vorzimmer warten, um vorgelassen zu werden. Er wirkte offiziell und wichtig, ohne sich groß anzustrengen. Ein Phänomen, das Stella bei mächtigen Männern oft beobachtet hatte. Sie streckten die Brust raus, als würden sie der Menge ein unsichtbares Schild entgegenhalten: Alle hersehen, hier posiert der Chef. Politiker stolzierten so herum, Aufsichtsratsvorsitzende, Richter, Chefredakteure. Sie gingen langsam und aufrecht, bewegten sich im Zeitlupentempo und vermittelten immer den Eindruck, darauf zu warten, dass ihre Bedeutung erkannt wird. Unter jüngeren Männern war dieses Honoratiorenpathos etwas aus der Mode gekommen. Sie sahen sich selbst mehr als Dynamiker und drückten das auchin ihrer Körperhaltung aus. Sie öffneten Türen mit Schwung, schritten nicht, sondern fegten mit wehenden Rockschößen Korridore entlang, gern mit einer Entourage im Schlepptau, die Mühe hatte, Schritt zu halten. Doch dieser Cavallo war noch von der altmodischen, patriarchalischen Sorte. Und auch ihn umschwebte, wie Jochen, die von sich selbst eingenommene Hochnäsigkeit der vom Schicksal verwöhnten Männer, die zutiefst davon überzeugt sind, ihre fetten Bankkonten und Autos, ihre Häuser und Unternehmen allein ihrem Können, ihrer Cleverness und einzigartigen Persönlichkeit zu verdanken, aber keinesfalls so verachtenswerten Faktoren wie Zufall oder Glück. Erfolgsarroganz nannten Psychologen den auffälligsten Charakterzug dieser Typen, die sich, egal, was sie auch anstellten, für immun hielten gegen alle Schicksalsschläge. Davon schien auch der Nadelstreifen beseelt zu sein, trotz der Leutseligkeit, mit der er seine Überheblichkeit tarnte. Die italienische Variante eines arroganten Arschlochs.
»Hat er was mit der Olivenölfirma Valle dei Cavalli zu tun?«
»Sie gehört ihm. Signore Cavallo beliefert die ganze Welt. Es gibt Gerüchte über Subventionsbetrug und Fälschungen, aber man konnte ihm noch nie etwas nachweisen.«
»Ist er vielleicht ein Geschäftspartner von der Contessa Leonora?«
»Er ist an ihrer Olivenölfirma beteiligt. Sie war vor ein paar Jahren fast pleite, und der alte Freund der Familie ist großzügig als Investor eingesprungen. Absolut selbstlos.« Das letzte Wort dehnte Luca so auffallend, dass die Ironie deutlich zu hören war.
Und wie das so ist in einer Kleinstadt, früher oder später kommt jemand vorbei, den man kennt, man muss nur Geduld haben und darf sich nicht auf eine bestimmte Person festlegen. Kleemann machte den Anfang. Als hätte er in den Kulissen sein Stichwort abgepasst, schlenderte er über den Platz, sein schon etwas angeschmuddelter weißer Leinenanzug leuchtete in der Sonne, gegen die er sich mit seinem Strohhut schützte. Ebenfallseine auffallende
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