Es sterben immer drei
»Weißt du, was ich mich frage«, sagte sie, »wieso geht man überhaupt von einem Mord aus? So wie hier schon lange vor der Jagdsaison rumgeballert wird, könnte Valerie doch auch versehentlich von einem Jäger erschossen worden sein.«
Luca nickte ernsthaft. »Natürlich haben wir uns das auch überlegt. Aber bei einem so exakten Schuss? Der Täter braucht eine ruhige Hand und große innere Ruhe. Wie ein Guru sagt unser Psychologe, der in Amerika an einem Workshop über Amokläufer teilgenommen hat. Er sagt, töten ist wie Meditation. Clean head. Shot. Kill .«
»Also ein Profikiller?«
»Nicht unbedingt. Auch Amokläufer steigern sich in diesen Zustand hinein. Sie wollen ihren Feind erledigen. Mitleidloses Töten geschieht im Jagdmodus der kalten Wut.«
»Sagt der Psychologe?«
Luca nickte.
»Was die Mafia nicht ausschließt?«
Luca wackelte mit dem Kopf, was beides bedeuten konnte. Ja oder nein. »Die Mafia arbeitet viel brutaler. Mit sehr viel Blut. Süditaliener mögen das große Drama. Sie wollen Angst und Schrecken verbreiten. Und sie sind schlampig. Sie hinterlassen Spuren. Unser Mörder arbeitete aber konzentriert, sauber, unauffällig. Clean head. Shot. Kill .«
»Sauber? Die Marquesa hat gesagt, ihr ganzes Gesicht war weggeschossen.«
»Willst du das wirklich wissen?«
Sie nickte, zweifelte aber gleichzeitig, ob es stimmte.
»Ja, ihr Gesicht ist zerfetzt. Sauber meine ich, weil es so unauffällig geschah. Wir haben nichts gefunden. Keine Kugel. Keine Blutspuren. Die Leiche wurde entsorgt wie Hausmüll.«
»Klingt eher nach deutscher Präzisionsarbeit«, brachte Stella ihren Lieblingsverdacht ins Spiel. Luca verstand ihre Andeutung und antwortete wieder mit seinem unentschiedenen Kopfschlenkerer. »Wie mein deutscher Kollege Derrick immer sagt: Wir ermitteln in alle Richtungen.« Er schob seinen Stuhl nach hinten. »Lass uns essen gehen.« Er machte einen großen Bogen um den Vierertisch und vermied es, auch nur einen Blick darauf zu werfen. Stattdessen sah Stella hin. Kleemann winkte kurz mit den Fingerspitzen und alle schauten ihnen nach.
14
Es war ganz leicht, Luca zu verführen. Sie rannte sozusagen offene Türen ein. Er selbst hatte alles perfekt geplant, sie brauchte ihm nur zu folgen. Die erste Etappe führte sie per Moto Guzzi in die Trattoria seiner Freundin Simonetta irgendwo auf dem Land in einen gesichtslosen, kleinen Ort, dessen Namen sie sofort wieder vergaß. Simonetta war eine dralle Person in zu engen Jeans, aber ihre selbst gemachte Pasta, ihre mit Fenchel gewürzte Salsiccia und eine Panna cotta, die mittels Können und göttlicher Gnade und nicht dank einer Überdosis Gelatine in Form blieb, unterstützten Lucas Strategie höchst effizient. Als sie aus dem überfüllten Kellergewölbe wieder auf die sorgfältig zubetonierte Piazza Karl Marx traten, musste Stella sich an ihmfesthalten, weil ihre Verführungsstrategie darin bestanden hatte, beim Wein aufs Wasser zu verzichten und sich einen Grappa zum Kaffee zu genehmigen. Angenehm beschwipst, aber noch nicht betrunken war sie jeder erotischen Herausforderung gewachsen. Sie griff nach Lucas Arm, den er ihr bereitwillig lieh, und war sehr froh, dass sie sich morgens, bevor sie aus dem Haus ging, wegen des Ritts auf der Moto Guzzi einen Eitelkeitsanfall untersagt hatte und schon wieder Turnschuhe trug, obwohl sie sich damit dem Verdacht aussetzte, hochhackige Schuhe zu verachten, was nicht der Fall war. Aber bei ihr siegte meistens das Praktische über das Schöne. Sie konnte einfach nicht anders. Sie wollte keinesfalls als eitel enttarnt werden.
Als er sie an der Hand nahm, schwankte sie kaum merklich. Mit Staunen registrierte sie erneut die angenehme Wärme seiner Finger. Er ließ sie nicht wieder los. Jeder zweite Passant grüßte ihn. Ciao, maresciallo . Sehr erstaunlich, wo doch angeblich die Carabinieri in der italienischen Bevölkerung ein ähnlich schlechtes Image hatten wie die Polizei in Deutschland. Sie musste eine hoch geschätzte Ausnahme erwischt haben. Stella konnte nicht verhindern, mit einem gewissen Stolz mit ihm durch die Gassen zu laufen, die deutschen, französischen oder holländischen Paare betrachtend, die aus der Gewohnheit eines jahrelangen Zusammenlebens ohne Körperkontakt hintereinander her spazierten und nichts mehr spürten, vor allem keine Aufregung mehr. Sie bildete sich ein, dass die Frauen auch lieber einen durchtrainierten italienischen Gladiator an der Hand gehalten hätten als den immer
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