Es stirbt in mir
eines anderen Menschen zu empfangen, ist keineswegs etwas Neues für mich, aber so eine Übertragung habe ich noch nicht erlebt, denn die von der Droge modulierten Informationen kommen bei mir in grauenhaften Verzerrungen an. Ich schaue unfreiwillig in Tonis Seele, und was ich sehe, ist ein Tanz der Dämonen. Kann in ihr tatsächlich eine derartige Finsternis wohnen? Die anderen beiden Male habe ich nichts dergleichen bemerkt: Hat das Acid Nachtmahre entfesselt, die mir vorher noch nicht zugänglich waren? Ihre Vergangenheit passiert Revue. Grelle Bilder, in gespenstischem Licht gebadet. Liebhaber. Kopulationen. Gemeinheiten. Ein reißender Strom Menstruationsblut, oder ist dieser scharlachfarbene Fluß etwas noch Unheimlicheres? Hier ein Schmerzknoten: Was ist das, Grausamkeit gegen andere, Grausamkeit gegen sich selbst? Und seht nur, wie sie sich dieser Heerschar männlicher Ungeheuer hingibt! Mechanisch rücken sie weiter vor, eine donnernde Legion. Ihre steif aufgerichteten Schwänze in schrecklich rotem Licht. Einer nach dem anderen stürzen sie sich auf sie, und während sie in sie hineinstoßen, sehe ich Licht aus ihren Lenden strömen. Ihre Gesichter sind starre Masken. Ich kenne nicht einen einzigen. Warum stehe ich nicht auch in der Reihe? Wo bin ich? Ach ja, dort: abseits, allein, unbedeutend, unwichtig. Bin dieses gräßliche Ding da ich? Sieht sie mich tatsächlich so? Als einen behaarten Vampir, einen zusammengeduckten Blutsauger? Oder ist das nur David Seligs eigene Vorstellung von David Selig, die wie die Reflektionen in den beiden einander gegenüberliegenden Spiegeln beim Friseur hin- und hergeworfen wird? Gott helfe mir, projiziere ich jetzt meinen eignen Horrortrip auf sie, lese ihn dann wieder in ihr und werfe ihr dann vor, Nachtmahre in sich zu haben, die nicht die ihren sind?
Wie kann ich diese Verbindung unterbrechen?
Mühsam stemme ich mich hoch. Torkelnd, auf unsicheren Füßen, von Übelkeit geschüttelt. Das Zimmer dreht sich. Wo ist die Tür? Der Türknauf weicht vor mir zurück. Ich werfe mich auf ihn.
»David?« Ihre Stimme hallt endlos nach. »David David David David David David…«
»Frische Luft«, murmle ich. »Eine Minute nach draußen…«
Es hilft auch nichts. Die Alpträume verfolgen mich durch die Tür. Ich lehne an der schwitzenden Wand und klammere mich an einen flimmernden Mauervorsprung. Der Chinese schwebt vorbei wie ein Geist. In der Ferne höre ich das Telefon läuten. Die Kühlschranktür knallt zu, knallt noch einmal, knallt noch einmal, der Chinese kommt zum zweitenmal aus derselben Richtung und der Türknauf weicht vor mir zurück, während sich das Universum krümmt und mich in einer Schlinge fängt. Die Entropie nimmt ab. Die grüne Wand schwitzt grünes Blut. Eine Stimme wie Disteln fragt: »Selig? Was ist mit Ihnen?« Donaldson, der Fixer. Sein Gesicht gleicht dem eines Totenkopfs. Die Hand, die er mir auf die Schulter legt, besteht nur aus Knochen. »Sind Sie krank?« fragt er mich besorgt. Ich schüttle den Kopf. Er beugt sich vor, bis seine leeren Augenhöhlen nur noch Zentimeter von meinem Gesicht entfernt sind, und betrachtet mich aufmerksam. »Sie sind auf ’nem Trip, Mann!« stellt er fest. »Habe ich recht? Hören Sie, wenn Sie einen miesen Trip haben, kommen Sie zu uns rüber, wir haben da was, was Ihnen möglicherweise hilft.«
»Nein danke. Alles in Ordnung.«
Ich stürze in unser Zimmer zurück. Die Tür, auf einmal flexibel, will sich nicht schließen; ich schiebe mit beiden Händen, drücke sie, bis das Schloß einrastet. Toni sitzt da, wie ich sie verlassen habe. Ihre Miene ist verblüfft. Ihr Gesicht ist ungeheuerlich, reinster Picasso; deprimiert wende ich mich von ihr ab.
»David?«
Ihre Stimme ist brüchig und hart, sie scheint in zwei Oktaven gleichzeitig zu sprechen, während der Zwischenraum zwischen dem oberen und dem unteren Ton mit kratziger Wolle ausgefüllt ist. Ich wedele heftig mit den Händen, will, daß sie zu reden aufhört, aber sie redet weiter, gibt ihrer Sorge um mich Ausdruck, will wissen, was los ist, warum ich so rein und raus renne. Jeder Laut, der von ihr kommt, ist eine Qual für mich. Auch die Bilder hören nicht auf, von ihr zu mir herüberzukommen. Der zottige, zähnefletschende Vampir, der mein Gesicht hat, hockt immer noch in einem Winkel ihres Kopfes. Toni, ich dachte du liebst mich! Toni, ich dachte, ich mache dich glücklich! Ich falle auf die Knie und starre den schmutzverkrusteten Teppich an, eine
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