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Es stirbt in mir

Es stirbt in mir

Titel: Es stirbt in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Million Jahre alt, ein verschossenes, fadenscheiniges Relikt aus dem Diluvium. Sie kommt zu mir, beugt sich liebevoll über mich, sie, die auf der Reise ist, kümmert sich um das Wohlergehen ihres nicht reisenden Freundes, der auf geheimnisvolle Weise aber ebenfalls reist. »Ich verstehe das nicht«, flüstert sie. »Du weinst ja, David! Dein Gesicht ist ganz verquollen. Habe ich etwa was Falsches gesagt? Bitte, mach kein Theater, David! Ich hatte einen so schönen Trip, und nun… Ich verstehe es einfach nicht…«
    Der Vampir. Der Vampir. Er breitet seine ledrigen Flügel. Entblößt seine gelblichen Fangzähne.
    Beißt. Saugt, Trinkt.
    Ich würge ein paar Worte heraus: »Ich bin… auch auf… ’nem Trip…«
    Mein Gesicht auf dem Teppich. Der Geruch von Staub in meinen ausgetrockneten Nasenlöchern. Trilobiten krabbeln durch mein Hirn. Ein Vampir kriecht durch das ihre. Die Kühlschranktür: rums, rums, rums! Über uns tanzen die Kannibalen. Die Decke lastet auf meinem Rücken. Mein hungriger Geist plündert Tonis Seele. Der Lauscher an der Wand hört seine eig’ne Schand. Toni fragt: »Hast du das andere LSD genommen? Wann?«
    »Nein.«
    »Wieso bist du dann auf ’nem Trip?«
    Ich antworte nicht. Ich kauere, ich ducke mich, ich schwitze, ich stöhne. Dies ist die Höllenfahrt. Huxley hatte mich gewarnt. Ich wollte Tonis Trip gar nicht. Ich wollte das nicht erleben. Meine Abwehr ist zerstört. Toni überwältigt mich. Verschlingt mich mit Haut und Haaren.
    Toni fragt: »Liest du meine Gedanken, David?«
    »Ja.« Das furchtbare, irreversible Bekenntnis. »Ich lese deine Gedanken.«
    »Was hast du gesagt?«
    »Daß ich deine Gedanken lese. Jeden einzelnen. Alles, woran du denkst. Ich sehe mich, wie du mich siehst. O mein Gott, Toni, Toni, Toni, es ist so grauenhaft!«
    Sie zerrt an mir, versucht mich hochzuziehen, damit ich sie ansehe. Endlich richte ich mich auf. Toni ist entsetzlich blaß; ihre Augen blicken starr. Sie verlangt Erklärungen. Was war das, mit dem Gedankenlesen? Habe ich das wirklich gesagt? Oder hat das ihr vom LSD verschwommener Geist erfunden? Ich habe es wirklich gesagt, erkläre ich ihr. Du hast mich gefragt, ob ich deine Gedanken lese, und ich habe geantwortet, ja, das tue ich.
    »Ich habe dich das nicht gefragt«, behauptet sie.
    »Ich hab’s aber gehört.«
    »Aber ich habe nicht…« Zitternd, jetzt. Alle beide. Ihre Stimme ist tonlos. »Versuchst du etwa, mich auf den Horror zu bringen, David? Ich verstehe das nicht. Warum möchtest du mir wehtun? Warum mußt du alles verderben? Es war ein guter Trip, David. Es war ein guter Trip! «
    »Für mich nicht«, entgegne ich.
    »Du warst ja auch nicht auf der Reise.«
    »War ich doch.«
    Sie wirft mir einen völlig verständnislosen Blick zu, weicht vor mir zurück und wirft sich schluchzend auf unser Bett. Aus ihrem Kopf schlägt mir, die groteske Szenerie der Wahnbilder überlagernd, eine Woge hemmungsloser Gefühle entgegen: Angst, Groll, Wut, Schmerz. Sie glaubt, ich habe ihr absichtlich wehtun wollen. Und nichts, was ich sage, kann das reparieren. Sie haßt mich. Ich bin ein Blutsauger für sie, ein Vampir, ein Blutegel; sie weiß, was es mit meiner Gabe auf sich hat. Wir haben eine entscheidende Schwelle überschritten, und sie wird von nun an nie wieder ohne Zorn und Scham an mich denken. Und ich nicht an sie. Ich stürze aus dem Zimmer, den Flur entlang bis zu der Behausung von Donaldson und Aitken. »Horrortrip«, murmle ich. »Tut mir leid, wenn ich Sie belästigen muß, aber…«
    Ich blieb während des ganzen Nachmittags bei ihnen. Sie gaben mir ein Beruhigungsmittel und halfen mir fürsorglich über das Abklingen des Trips hinweg. Eine halbe Stunde noch empfing ich die psychedelischen Bilder von Toni, als seien wir über die ganze Länge des Korridors hinweg durch eine unlösbare Nabelschnur miteinander verbunden; dann begann der Kontakt zu meiner Erleichterung nach und nach schwächer zu werden und war plötzlich, mit einem fast hörbaren Klicken im Augenblick der Durchtrennung, ganz und gar gelöst. Die grellen Phantome hörten auf, meine Seele zu quälen. Farben, Dimensionen und Strukturen nahmen wieder ihren Normalzustand an. Und ich war endlich von jener schonungslosen Reflexion der Selbstdarstellung befreit. Als ich wieder allein in meinem Schädel war, hätte ich zur Feier meiner Erlösung am liebsten geweint, aber es wollten keine Tränen kommen, und so saß ich einfach da und trank langsam ein Bromo-Seltzer. Die Zeit

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