Es stirbt in mir
zwei kleine Quadrate aus Löschpapier mit nach Hause. Im Zentrum jedes Quadrats war ein schwacher, blau-grüner Fleck. Ich studierte sie ein oder zwei Sekunden lang, ohne sogleich zu begreifen.
»Acid«, erklärte sie mir schließlich.
»Acid?«
»LSD. Hat Teddy mir heute gegeben.«
Teddy war ihr Vorgesetzter, der Cheflektor. LSD, ach ja. Ich wußte Bescheid. 1957 hatte ich gelesen, was Huxley über Meskalin schrieb. Ich war fasziniert. Eine Versuchung. Seit Jahren spielte ich mit dem Gedanken an ein psychedelisches Erlebnis, hatte mich einmal sogar freiwillig zur Teilnahme an einem LSD-Forschungsprogramm des Columbia Medical Center gemeldet. Leider jedoch kam ich zu spät. Und dann, als die Droge Mode wurde, kamen all diese Schreckensgeschichten von Selbstmorden, Psychosen, Horrortrips. Da ich wußte, wie anfällig ich war, überlegte ich mir, daß es wohl klüger wäre, das LSD den anderen zu überlassen. Obwohl ich immer noch neugierig war. Und nun diese Löschpapierquadrate auf Tonis Handfläche.
»Soll garantiert rein sein«, erklärte sie. »Direkt aus dem Labor. Teddy hat mit einem davon schon einen Trip gemacht und sagt, daß es wirklich unverschnitten ist. Ich dachte, wir könnten morgen auf die Reise gehen und uns am Sonntag gründlich ausschlafen.«
»Alle beide?«
»Warum nicht?«
»Findest du es nicht unvorsichtig, wenn wir beide gleichzeitig nicht bei Verstand sind?«
Sie warf mir einen merkwürdigen Blick zu. »Meinst du, daß man von Acid den Verstand verliert?«
»Ich weiß nicht recht. Man hört da ’ne Menge Schauergeschichten.«
»Bist du noch nie auf die Reise gegangen?«
»Nein«, antwortete ich. »Du denn?«
»Na ja, ich auch nicht. Aber ich habe Freunde beobachtet, die gerade auf ’nem Trip waren.« Der Gedanke an den Teil ihres Lebens, den ich nicht kannte, schmerzte. »Man verliert dabei wirklich nicht den Verstand, David. Eine Stunde lang oder so ist man wahnsinnig high, und da geht’s dann ein bißchen durcheinander. Im Grunde aber sind Leute, die auf die Reise gehen, vollkommen klar und ruhig. Wie… ja, wie Aldous Huxley. Kannst du dir bei Huxley vorstellen, daß er den Verstand verliert? Brabbelt und sabbert und Möbel zerschlägt?«
»Und was ist mit dem Burschen, der seine Schwiegermutter umgebracht hat, während er auf der Reise war? Und dem Mädchen, das aus dem Fenster sprang?«
Toni zuckte nur die Achseln. »Die waren labil«, erklärte sie überheblich. »Vielleicht trugen sie sich schon vorher mit dem Gedanken an Mord oder Selbstmord, und das Acid hat ihnen nur noch den letzten Anstoß gegeben. Aber das heißt nicht, daß es dir oder mir so gehen würde. Vielleicht waren auch die Dosen zu hoch, oder das Zeug war mit anderen Drogen verschnitten. Was weiß denn ich? Das kommt einmal in Millionen Fällen vor. Ich habe Freunde, die haben fünfzig –, sechzigmal getript und haben nie irgendwelche Schwierigkeiten gehabt.« Ihr Ton klang ungeduldig, herablassend, belehrend. Dieses altjüngferliche Zögern hatte plötzlich ihre Achtung vor mir herabgesetzt; wir standen an der Schwelle einer ernsthaften Auseinandersetzung. »Was ist los, David? Hast du Angst vor einem Trip?«
»Ich halte es lediglich für unvernünftig, wenn wir beide gleichzeitig reisen. Vor allem, solange wir nicht genau wissen, wie sich das Zeug bei uns auswirkt.«
»Ein Tandem ist das Schönste für zwei Menschen, die sich lieben«, erklärte sie.
»Aber es ist riskant. Wir wissen noch nicht genug darüber. Paß mal auf, du kannst doch sicher noch mehr Acid kriegen, nicht wahr?«
»Ja, vermutlich.«
»Na schön. Dann machen wir einen Schritt nach dem anderen. Wir haben ja Zeit. Du gehst morgen auf die Reise, und ich sehe dir dabei zu. Ich reise am Sonntag, und du paßt auf. Wenn uns beiden gefällt, was wir dabei erleben, können wir das nächstemal dann ein Tandem machen. Okay, Toni?«
Es war nicht okay. Ich sah, daß sie etwas entgegnen, Einwände erheben wollte; aber ich sah auch, daß sie innehielt, ihre Position erwog und beschloß, es nicht zum Streit kommen zu lassen. Nicht, daß ich in ihre Gedanken eingedrungen wäre, aber ihr Mienenspiel war deutlich genug. »Na schön«, antwortete sie leise. »Es lohnt sich nicht, deswegen zu streiten.«
Am Samstagmorgen ließ sie das Frühstück ausfallen – man hatte ihr geraten, für den Trip nüchtern zu bleiben –, und als ich etwas gegessen hatte, blieben wir noch eine Weile in der Küche sitzen, vor uns auf dem Tisch das unschuldige
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