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Es stirbt in mir

Es stirbt in mir

Titel: Es stirbt in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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vergangen, seit sie die ersten Anzeichen verspürt hatte. Und während sie immer tiefer in ihren Trip hineinglitt, wurde auch meine Liebe zu ihr immer tiefer. Ihre Fähigkeit, die Droge zu bewältigen, war ein Beweis für die Kraft ihrer Persönlichkeit, und das beseligte mich. Ich bewundere starke Frauen. Schon plante ich meinen eigenen Trip für den nächsten Tag, wählte in Gedanken die musikalische Untermalung aus, versuchte, mir die Verzerrung der Realität vorzustellen, die ich erleben würde, und freute mich darauf, anschließend mit Toni Erfahrungen auszutauschen. Ich bereute meine Feigheit, die mich der Freude beraubt hatte, an diesem Tag mit Toni zusammen zu reisen.
    Aber was ist jetzt das? Was geschieht mit meinem Kopf? Wieso dieses plötzliche Gefühl, ersticken zu müssen? Dieses Hämmern in meiner Brust? Diese Trockenheit in meiner Kehle? Die Wände biegen sich; die Luft wirkt schwer und dick; mein rechter Arm ist plötzlich dreißig Zentimeter länger als der linke. Das sind genau die Wirkungen, die Toni vor einer Weile an sich bemerkt und mir beschrieben hat! Warum spüre ich sie jetzt? In meinen Schenkeln zucken die Muskeln. Ist dies, was man ein contact high nennt? Kommt es davon, daß ich so nahe bei Toni bin, während sie reist? Hat sie mir LSD-Partikel zugeatmet, bin ich durch atmosphärische Infektion angetörnt worden?
    »Mein lieber Selig«, verkündet mein Lehnsessel überheblich, »wie kannst du so dumm sein? Du liest diese Phänomene doch direkt in ihren Gedanken! Das liegt auf der Hand.«
    Liegt es wirklich auf der Hand? Ich erwäge diese Möglichkeit. Lese ich Tonis Gedanken, ohne es zu wissen? Anscheinend ja. Bisher war immer eine gewisse Konzentration notwendig gewesen, wenn ich gezielt die Gedanken anderer Menschen erforschen wollte. Nun aber scheint es, daß das Acid ihre Ausstrahlungen verstärkt hat und sie nun auch ungebeten auf mich eindringen. Was für eine Erklärung gäbe es sonst dafür? Sie sendet ihren Trip, und ich habe mich, trotz meines so hochnoblen Entschlusses, ihre Privatsphäre zu respektieren, auf ihre Wellenlänge eingestellt. Und nun wirken sich die seltsamen Effekte des LSD, den Raum zwischen uns überbrückend, auch auf mich aus.
    Soll ich mich aus ihren Gedanken zurückziehen?
    Die Wirkung des LSD lenkt mich ab. Als ich Toni ansehe, ist sie verändert. Ein kleines, dunkles Muttermal unten auf ihrer linken Wange, dicht neben dem Mundwinkel, leuchtet in einem Wirbel greller Farben: rot, blau, violett, grün. Ihre Lippen sind zu voll, ihr Mund zu breit. Und so viele Zähne! Reihe um Reihe, wie bei einem Hai. Warum ist mir dieses Raubtiergebiß vorher nie aufgefallen? Sie macht mir Angst. Ihr Hals reckt sich in die Länge, ihr Körper drückt sich zusammen; unter dem vertrauten roten Pullover, der eine unheimlich drohende Purpurfarbe angenommen hat, bewegen sich ihre Brüste wie ruhelose Katzen. Um ihr zu entkommen, sehe ich zum Fenster hinüber. Die verschmutzten Scheiben sind von einem Netz feiner Sprünge überzogen, das ich eigentlich noch nie bemerkt habe. Gleich muß das zersprungene Fenster implodieren und uns mit scharfen Glassplittern übersäen. Das Gebäude gegenüber wirkt heute unnatürlich geduckt. Eine Bedrohung geht von dieser veränderten Form aus. Auch die Decke senkt sich auf mich herab. Über mir höre ich gedämpfte Trommelschläge – die Schritte des Nachbarn, der über mir wohnt, sage ich mir – und stelle mir Kannibalen vor, die ihre Mahlzeit vorbereiten. Ist es bei einem Trip immer so? Haben sich die jungen Menschen unserer Nation dies angetan, freiwillig, ja begierig und aus Spaß?
    Ich muß da raus, bevor es mich völlig kaputt macht. Ich muß raus!
    Nichts leichter als das. Ich habe meine Methoden, den Input zu stoppen, die Aufnahme abzuschalten. Nur, daß es diesmal einfach nicht klappt. Hilflos stehe ich vor der Macht der Droge. Ich versuche, mich vor diesen unvertrauten und beunruhigenden Sinneswahrnehmungen zu verschließen, aber sie dringen trotzdem zu mir durch. Ich bin für alle Emanationen, die von Toni ausgehen, weit offen. Ich kann nicht los. Ich gerate tiefer und tiefer hinein. Dies ist ein Trip. Dies ist ein mieser Trip. Dies ist ein ganz mieser Trip. Seltsam: Toni hatte doch einen guten Trip, nicht wahr? So erschien es jedenfalls dem objektiven Beobachter. Warum muß ich dann, der ich auf ihrem Trip doch nur huckepack mitreise, einen schlechten haben?
    Alles, was in Tonis Kopf vorgeht, flutet über mich her. Die Seele

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