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Es stirbt in mir

Es stirbt in mir

Titel: Es stirbt in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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einfach zerreißen und noch mal von vorn anfangen. Im Jive-Jargon schreiben, man. Im alten Feldnigger-Rhythmus. Gott steh mir bei, laß mich schwarz denken! Aber ich kann es nicht. Ich kann es nicht. Ich kann es nicht. Kotzen möchte ich am liebsten. Ganz bestimmt kriege ich Fieber. Augenblick mal! Vielleicht hilft ein Joint. Yeah. Ich werde high und versuch’s dann noch mal. Ein Stengel Gras. Damit du ’n bißchen soul abkriegst, man. Du dämlicher Juden-Klugscheißer, sieh zu, daß du ’n bißchen soul abkriegst, kapiert? Okay, also: Da war dieser Agamemnon, ’n ganz großes Tier, aber hingemacht ha’m se den trotzdem. Seine Alte, die Klytaimestra, hatte was mit diesem miesen Scheißkerl, dem Aigisth, und eines Tages sagt sie zu ihm, Baby, sagt sie, machen wir doch Old Aggie hin, wir beide, dann kannst du König werden, und wir können so richtig auf die Pauke haun. Also, Old Aggie, der ist gerade in Nam und hat da das große Sagen, aber dann kommt er auf Heimaturlaub nach Hause, und kaum war er da, da ham se’s ihm gegeben, richtig schön fertiggemacht ham se den, und aus war’s mit ihm. Jetzt ist da aber dieses Weibstück, die Elektra, die Tochter vom alten Aggie, und die geht nun richtig hoch, als sie ihn um die Ecke bringen, darum sagt sie zu ihrem Bruder, Orest heißt der, hör mal, Orest, sagt sie zu ihm, du mußt diese beiden Schweine umlegen, aber richtig, hörst du, Orest? Ja, aber dieser Orest, der war lange nicht mehr da gewesen, also weiß er nicht ganz, was da gespielt wird, aber…
    Yeah, das haut hin, man ! Jetzt hast du’s kapiert. Und jetzt mach weiter, erklär mal schön, wie Euripides den deus ex machina und die kathartischen Eigenschaften der realistischen Dramatechnik des Sophokles verwendet. Na klar doch, ganz einfach! Mann, Selig, was bist du doch für ein dämlicher schmock! Was für ein dämlicher, idiotischer schmock bist du!
15
    Ich versuchte, nett zu Judith zu sein, ich versuchte, freundlich und liebevoll zu sein, aber immer wieder drängte sich unser Haß zwischen uns. Ich sagte mir: Sie ist meine kleine Schwester, mein einziges Geschwisterchen, ich muß ihr mehr Liebe entgegenbringen. Aber Liebe kann man nicht erzwingen, kann sie nicht einfach nur aus guter Absicht wie ein Zauberkünstler aus dem Hut holen. Außerdem ist meine Absicht eigentlich nie so gut gewesen. Ich sah von Anfang an eine Rivalin in ihr. Ich war der Erstgeborene, ich war der Schwierige, der Unangepaßte. Ich hätte im Mittelpunkt allen Geschehens stehen müssen. Das waren die Bedingungen meines Vertrages mit Gott: Ich muß leiden, weil ich anders bin, zum Ausgleich dafür wird jedoch das ganze Universum um mich kreisen. Das Baby, das zu uns ins Haus geholt wurde, sollte nichts weiter sein als ein Therapeutikum, das mir helfen sollte, besseren Kontakt zu den anderen Menschen zu finden. So war es ausgemacht: Daß sie eine unabhängige Persönlichkeit werden, ihre eigenen Bedürfnisse haben, Wünsche äußern oder mir die Liebe meiner Eltern wegnehmen sollte, war nicht vorgesehen. Sie sollte einfach ein Gegenstand sein, ein Möbelstück. Aber ich war zu klug, um das zu glauben. Als sie adoptiert wurde, war ich zehn Jahre alt. Ein Zehnjähriger ist kein Dummkopf. Ich wußte, daß meine Eltern sich nun nicht mehr verpflichtet sahen, all ihre Sorge einzig auf ihren so gefühlsegoistischen und problematischen Sohn zu konzentrieren und ihre Aufmerksamkeit und Liebe – jawohl, vor allem ihre Liebe – dem süßen, unkomplizierten Baby zuwenden würden. Sie würde mich von meinem Platz im Mittelpunkt verdrängen; ich würde zu einem verschrobenen, beiseitegeschobenen Artefakt verkümmern. Dagegen mußte ich mich ja auflehnen. Können Sie es mir verdenken, daß ich versuchte, sie in ihrem Bettchen umzubringen? Andererseits verstehen Sie nun sicher auch den Ursprung der Kälte, die sie mir ihr Leben lang entgegengebracht hat. Ich will mich damit keineswegs entschuldigen. Der Reigen des Hasses begann bei mir. Bei mir, Jude, bei mir, bei mir, bei mir. Doch wenn du nur gewollt hättest, du hättest ihn mit deiner Liebe durchbrechen können. Aber du wolltest nicht.
    An einem Samstagnachmittag im Mai 1961 fuhr ich meine Eltern besuchen. Damals besuchte ich sie nicht oft, obwohl ich per Subway kaum zwanzig Minuten von ihnen entfernt wohnte. Ich stand außerhalb des Familienkreises, selbständig und entfremdet, und hegte einen starken Widerwillen gegen die Rückkehr in den Familienschoß. Zum einen empfand ich eine gewisse

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