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Es stirbt in mir

Es stirbt in mir

Titel: Es stirbt in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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würde, würde ich ein Paria werden. Wahrscheinlich würden sie mich lynchen. Weißt du, wie vielen Menschen ich mich rückhaltlos anvertraut habe? In meinem ganzen Leben, meine ich.«
    »Einem Dutzend?«
    »Dreien«, sage ich. »Und freiwillig hätte ich mich keinem von ihnen anvertraut.«
    »Dreien?«
    »Ja. Dir. Geargwöhnt hattest du es wohl schon lange, aber mit Sicherheit erfuhrst du es erst, als du sechzehn warst. Erinnerst du dich? Dann Tom Nyquist, mit dem ich keine Verbindung mehr habe. Und einem jungen Mädchen namens Kitty, mit dem ich auch keine Verbindung mehr habe.«
    »Was ist mit dieser großen Dunkelhaarigen?«
    »Toni? Der habe ich es nie ausdrücklich gesagt. Ich wollte es vor ihr geheimhalten, aber sie hat es indirekt erfahren. Das haben übrigens vermutlich viele, es indirekt erfahren. Gesagt habe ich es aber nur dreien. Ich will nicht als Monster bekannt werden. Also soll sie ruhig verschwinden. Soll sie sterben. Ab mit Schaden!«
    »Aber du willst sie behalten.«
    »Ich will sie behalten und sie verlieren – beides.«
    »Das ist ein Widerspruch.«
    »Widerspreche ich mir? Na schön, dann widerspreche ich mir eben. Ich bin groß, in mir hat eine Menge Platz. Was kann ich sagen, Jude? Was kann ich dir sagen, wenn es die Wahrheit sein soll?«
    »Quälst du dich?«
    »Wer quält sich nicht?«
    »So etwas zu verlieren, das ist, wie wenn man impotent wird, nicht wahr, Dav?« sagt sie. »Die Fühler nach dem Geist eines anderen auszustrecken und feststellen zu müssen, daß es keinen Kontakt gibt? Du sagtest einmal, daß dir das Ekstase verschafft. Diese Flut der Informationen, diese Erlebnisse aus zweiter Hand. Und das erreichst du jetzt nicht mehr so oft, oder vielleicht überhaupt nicht mehr. Dein Geist kriegt ihn einfach nicht mehr hoch. Siehst du es nicht auch so wie ich, als eine sexuelle Metapher?«
    »Manchmal.« Ich schenke ihr Wein ein. Minutenlang sitzen wir schweigend da, schaufeln die Spaghetti in uns hinein, grinsen uns etwas zögernd an. Beinahe empfinde ich Zuneigung zu ihr. Vergebung für all die Jahre, in denen sie mich wie eine Zirkusnummer behandelt hat. Du mieser Schnüffler! Bleib aus meinem Kopf heraus, Dav, oder ich bringe dich um! Du Voyeur. Du Spanner. Bleib draußen, Mann, bleib endlich draußen! Sie wollte nicht, daß ich ihren Verlobten kennenlernte. Fürchtete wohl, daß ich ihm von ihren anderen Männern erzählen würde. Ich wünschte, ich würde dich eines Tages tot in der Gosse finden, Dav. Damit all meine Geheimnisse mit dir verfaulen. So lange her. Vielleicht lieben wir uns jetzt tatsächlich ein bißchen, Jude. Nur ein bißchen, aber du liebst mich mehr als ich dich.
    »Ich kann nicht mehr kommen«, sagt sie unvermittelt. »Du weißt doch, ich konnte praktisch jedesmal kommen. Ewig die heißen Höschen, bei mir. Aber vor fünf Jahren, als meine Ehe langsam kaputtging, ist in mir irgendwas passiert. Ein Kurzschluß, da unten. Zuerst kam ich noch bei jedem fünften Mal, dann bei jedem zehnten Mal. Ich spürte, wie ich die Reaktionsfähigkeit verlor. Ich lag da und wartete, daß ich kam, aber dadurch war es natürlich erst recht unmöglich. Schließlich konnte ich überhaupt nicht mehr kommen. Ich kann es noch immer nicht. Seit drei Jahren nicht mehr. Seit meiner Scheidung habe ich mit ungefähr hundert Männern geschlafen, aber nicht einer hat mich so weit gebracht, obwohl einige richtige Zuchtbullen waren. Daran will Karl übrigens mit mir arbeiten. Ich weiß also, wie das ist, Dav. Was du durchmachen mußt. Weil du die einzige Möglichkeit verlierst, Kontakt zu anderen Menschen zu bekommen, ja allmählich den Kontakt mit dir selbst verlierst, im eigenen Kopf ein Fremder wirst.« Sie lächelte. »Wußtest du das von mir? Das mit den Schwierigkeiten im Bett?«
    Ich zögere. Der eiskalte Blick ihrer Augen verrät sie. Ihre Aggressivität. Die Ressentiments, die sie hegt. Selbst wenn sie versucht zu lieben, kann sie nicht anders, sie muß hassen. Wie empfindlich unser Verhältnis zueinander doch ist! Wir sind in einer Art Ehe aneinandergefesselt, Judith und ich, in einer alten, ausgebrannten Ehe, die nur noch von Feuerzangen zusammengehalten wird. Was soll’s. »Ja«, antworte ich ihr, »ich wußte es.«
    »Habe ich mir gedacht. Du hast nie aufgehört, mich auszuforschen.« Ihr Lächeln spricht von haßerfülltem Hohn. Sie ist froh, daß ich die Gabe verliere. Sie ist erleichtert. »Du liest in mir wie in einem offenen Buch, Dav.«
    »Keine Angst, nicht mehr

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