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Es stirbt in mir

Es stirbt in mir

Titel: Es stirbt in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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hatte, wartete ich zwei Tage lang, bevor ich etwas unternahm. Ich vermutete, daß sie von selbst zurückkommen würde, wenn sie sich beruhigt hatte; ich nahm an, daß sie zerknirscht von irgendeiner Freundin aus anrufen und mir sagen würde, es tue ihr leid, sie habe durchgedreht, und ich möchte sie bitte mit einem Taxi abholen kommen. Außerdem war ich während dieser zwei Tage kaum in der Verfassung, etwas zu unternehmen, weil ich immer noch unter den Nachwirkungen meines falschen Trips litt; ich fühlte mich, als hätte jemand meinen Kopf gepackt und kräftig daran gezogen, bis mein Hals gedehnt war wie ein Gummiband, um ihn dann mit einem scharfen Ruck, der mein Gehirn erschütterte, an seinen Platz zurückschnellen zu lassen. Die gesamten zwei Tage verbrachte ich im Bett, döste vor mich hin, las auch gelegentlich und stürzte jedesmal, wenn das Telefon klingelte, Hals über Kopf in den Flur hinaus.
    Aber sie kam nicht zurück, und sie rief nicht an, und am Dienstag nach der LSD-Reise machte ich mich auf die Suche nach ihr. Zuerst rief ich in ihrem Büro an. Teddy, ihr Chef, ein netter, höflicher Gelehrtentyp, sehr sanft, sehr schwul. Nein, sie sei in dieser Woche nicht zur Arbeit gekommen. Nein, sie habe sich nicht gemeldet. Ob es denn dringend sei? Ob er mir ihre Telefonnummer geben solle? »Ich rufe ja aus ihrer Wohnung an«, entgegnete ich. »Sie ist nicht hier, und ich weiß nicht, wo sie ist. Hier spricht David Selig, Teddy.«
    »Oh«, sagte er nur. Sehr leise, sehr mitfühlend. »Oh.« Und ich bat ihn: »Falls sie anruft, würden Sie ihr bitte sagen, daß sie sich mit mir in Verbindung setzen soll?« Dann fing ich an, diejenigen ihrer Freundinnen anzurufen, deren Telefonnummer ich finden konnte: Alice, Doris, Helen, Pam, Grace. Wie ich wußte, konnten die meisten von ihnen mich nicht leiden. Um das zu merken, brauchte man kein Telepath zu sein. Sie waren der Ansicht, sie werfe sich an mich weg, verschwende ihr Leben mit einem Mann ohne Beruf, ohne Zukunftsaussichten, ohne Geld, Ehrgeiz und Talent, mit einem Mann, der nicht einmal gut aussah. Alle fünf behaupteten, nichts von ihr gehört zu haben. Bei Doris, Helen und Pam klang es aufrichtig. Bei den anderen beiden hatte ich das Gefühl, daß sie logen. Mit einem Taxi fuhr ich zu Alices Adresse in Greenwich Village und sondierte ihre Gedanken, neun Stockwerke über der Straße. Ich erfuhr eine Menge von Alice, das ich gar nicht wissen wollte, aber wo Toni war, erfuhr ich nicht. Da ich mich dieses Spionierens schämte, versuchte ich es bei Grace erst gar nicht. Statt dessen rief ich meinen Auftraggeber, den Schriftsteller an, dessen Buch Toni redigierte, und fragte ihn, ob er sie gesehen habe. Seit Wochen schon nicht mehr, antwortete er mir kalt wie Eis. Sackgasse. Die Spur führte nicht weiter.
    Am Mittwoch hielt ich es nicht mehr aus. Ich wußte nicht, was ich machen sollte, und telefonierte schließlich – schön melodramatisch – mit der Polizei. Einem gelangweilten Sergeanten vom Dienst gab ich Tonis Signalement: groß, schlank, langes, dunkles Haar, braune Augen. Keine Leiche im Central Park gefunden? Oder in Abfalltonnen der Subway? Oder im Keller der Mietskasernen an der Amsterdam Avenue? Nein. Nein. Nein. Hören Sie, mein Freund, wir werden Ihnen Bescheid geben, wenn wir was hören, aber ich habe nicht das Gefühl, daß es wirklich so ernst ist. So weit die Polizei. Ruhelos, ohne Hoffnung, niedergeschlagen begab ich mich zu einem trostlosen Dinner ins Great Shanghai: gutes Essen, sinnlos verschwendet. Ich stocherte appetitlos herum, ließ es stehen. (Die Kinder in Europa müssen hungern, Dav. Iß! Iß!) Dann, als ich vor den traurigen Überresten meiner Shrimps mit Reis saß und mich hemmungslos meinem Jammer überließ, konnte ich mit Hilfe einer Methode, die ich immer zutiefst verabscheut habe, einen Erfolg verbuchen: Ich sondierte die Gedanken der verschiedenen Mädchen, die allein in diesem großen Restaurant saßen, und suchte eine, die einsam, deprimiert, zugänglich, sexuell aufgeschlossen und allgemein dringend einer seelischen Rückenstärkung bedürftig war. Es ist nicht schwer, Erfolg zu haben, wenn man genau in Erfahrung bringen kann, wer gerade in der Stimmung ist, aber sehr sportlich ist das nicht. Sie war einigermaßen attraktiv, verheiratet, Mitte Zwanzig, kinderlos, und ihr Ehemann, ein Dozent an der Columbia University, interessierte sich offenbar mehr für seine Doktorarbeit als für sie. Er verbrachte jeden Abend mit

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