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Es stirbt in mir

Es stirbt in mir

Titel: Es stirbt in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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besagen sollte, daß ich eine Art Supermann war und die Macht besaß, die intimsten Gedanken einer Frau zu lesen. Nach meiner Vorstellung mußte sie mir darauf sofort überwältigt in die Arme sinken, ein sechster Sinn sagte mir jedoch, daß sie mich entweder für verrückt oder für einen Spanner halten und sich endgültig von mir abwenden würde; also legte ich den Brief zu den Akten. Eines Abends fand ihn meine Mutter, wagte aber nicht, mich zur Rede zu stellen, da sie im Hinblick auf das gesamte Gebiet der Sexualität bis über die Ohren in Hemmungen steckte; sie legte ihn ratlos einfach in mein Notizbuch zurück. Als ich am selben Abend in ihrem Kopf sondierte, entdeckte ich, daß sie ihn heimlich gelesen hatte. War sie entsetzt und verstört? Ja, das war sie; aber sie war ebenso stolzgeschwellt, daß ihr Junge endlich zum Mann geworden war und hübschen Mädchen anstößige Briefe schrieb. Mein Sohn, der Pornograf. Die meisten Briefe in diesem Ordner stammten aus der Zeit zwischen 1954 und 1968. Der jüngste wurde im Herbst 1974 geschrieben; von da an hatte Selig das Gefühl, immer mehr den Kontakt mit der menschlichen Rasse zu verlieren, und schrieb seine Briefe nur noch im Kopf. Wie viele Mädchen hier vertreten sind, weiß ich nicht, aber es müssen ziemlich viele gewesen sein. Im allgemeinen handelte es sich durchweg um recht oberflächliche Affären, denn Selig war, wie Sie ja wissen, nicht verheiratet und engagierte sich kaum einmal ernsthaft bei einer Frau. Genau wie im Fall Beverly hatte er mit denjenigen, die er am innigsten liebte, gewöhnlich keinen wirklichen Kontakt, war aber durchaus in der Lage, einem wahllos aufgegriffenen Mädchen echte Liebe vorzugaukeln. Zuweilen setzte er bewußt seine Gabe ein, um die Frauen sexuell auszunehmen, vor allem, als er ungefähr 25 war. Auf jene Zeit ist er keineswegs stolz. Würdet ihr diese Briefe nicht gern lesen, ihr miesen Voyeure? Aber Sie werden sie nicht lesen. Sie werden sie nicht in Ihre schmutzigen Finger bekommen. Warum habe ich Sie überhaupt eingelassen? Warum dulde ich, daß Sie meine Bücher, meine Fotos, mein ungespültes Geschirr und meine fleckige Badewanne begaffen? Wahrscheinlich läßt mich mein Selbstwertgefühl im Stich. Diese Isolation erstickt mich einfach; die Fenster halte ich geschlossen, aber die Tür habe ich wenigstens geöffnet. Ich brauche Sie, damit Sie mir helfen, den Sinn für die Realität nicht zu verlieren, indem Sie einen Blick in mein Leben tun, indem Sie Teile davon Ihren eigenen Erfahrungen hinzufügen, indem Sie entdecken, daß ich real bin, existiere, leide, eine Vergangenheit, wenn nicht sogar eine Zukunft habe. Damit Sie später sagen können: Jawohl, ich kenne David Selig, ich kenne ihn sogar ziemlich gut. Doch das bedeutet keineswegs, daß ich Ihnen alles zeigen muß. Hallo, da ist ja ein Brief an Amy! Amy, die mich im Frühjahr 1953 meiner quälenden Jungfräulichkeit beraubte. Möchten Sie hören, wie das geschah? Das erste Mal birgt für jeden Menschen eine unwiderstehliche Faszination. Aber einen Dreck werde ich tun; ich habe keine Lust, darüber zu sprechen. Es ist ohnehin keine großartige Geschichte. Ich habe ihn in sie reingesteckt, dann bin ich gekommen, sie aber nicht, das ist alles, und wenn Sie das Übrige auch noch wissen wollen, wer sie war, wie ich sie verführt habe, dann denken Sie sich diese Details selber aus. Wo Amy jetzt ist? Amy ist tot. Wie finden Sie das? Sein erstes Mädchen, und schon hat er sie überlebt. Sie starb im Alter von 23 Jahren bei einem Autounfall, und ihr Ehemann, der mich flüchtig kannte, rief mich an, um mich davon zu unterrichten, weil er gehört hatte, ich sei früher einmal mit ihr befreundet gewesen. Er war noch immer im Trauma, weil die Polizei ihn gezwungen hatte, die Leiche zu identifizieren, und die war grauenhaft verstümmelt. Wie ein Ding von einem anderen Planeten, sagte er. Durch die Windschutzscheibe mit dem Kopf gegen einen Baum geflogen. Und ich antwortete: »Amy war das erste Mädchen, mit dem ich jemals geschlafen habe.« Da fing er an, mich zu trösten. Er – mich trösten! Und ich hatte nur sadistisch sein wollen.
    Die Zeit vergeht. Amy ist tot, und Beverly ist eine rundliche Hausfrau in den mittleren Jahren, möchte ich wetten. Hier ist ein Brief an Jackie Newhouse, in dem ich ihr mitteile, daß ich nicht schlafen kann, weil ich immer an sie denken muß. Jackie Newhouse? Wer das ist? Ach ja! Fünf Fuß zwei und ein Paar Titten, die Marilyn Monroe

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