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Es stirbt in mir

Es stirbt in mir

Titel: Es stirbt in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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weder sexuell noch sonstwie, doch als ich das denke, schelte ich mich für meine abwertenden Gedanken – nichts Menschliches sei mir fremd – und dringe spontan, während ich meine Bücher bezahle, in ihre Gedanken ein, um mir nicht nur nach Äußerlichkeiten ein Urteil zu bilden. Ich stoße mühelos und sehr tief vor, durch Schicht um Schicht von Trivia, sondiere sie ohne Hindernis, gelange direkt zum Kern der Dinge. Oh! Eine plötzliche, heiß flammende Berührung, Seele mit Seele! Sie glüht. Sie atmet Feuer. Sie kommt mir mit einer Lebhaftigkeit, mit einer Hingabe entgegen, die mich benommen machen, so selten sind derartige Erlebnisse für mich geworden. Kein stummes, bleiches Püppchen mehr. Ich sehe sie ganz, ihre Träume, ihre Fantasien, ihre Ziele, ihre Lieben, ihre bebenden Ekstasen (der keuchende Geschlechtsakt gestern nacht und hinterher die Scham und Schuld), eine vollblütige, dampfende, zischende menschliche Seele. Nur einmal in den letzten sechs Monaten habe ich einen so totalen Kontakt erlebt, nur ein einziges Mal, an jenem schrecklichen Tag mit Yahya Lumumba auf den Stufen der Low Library. Und als ich an jenes sengende, betäubende Erlebnis denke, wird etwas in mir ausgelöst, und wieder ereignet sich dasselbe. Ein dunkler, undurchsichtiger Vorhang senkt sich herab. Die Verbindung bricht ab. Ich verliere den Halt an ihrem Bewußtsein. Stille, diese gräßliche mentale Stille umgibt mich. Ich stehe da, starr, gelähmt, wieder einmal allein und verängstigt, ich beginne zu zittern, lasse mein Wechselgeld fallen, und sie fragt mit ihrer süßen, flötengleichen Kleinmädchenstimme: »Sir? Sir? «
    Freitag. Als ich aufwache – Schmerzen, hohes Fieber. Zweifellos ein Anfall psychosomatischen Wechselfiebers. Der wütende, erbitterte Geist geißelt unbarmherzig den wehrlosen Körper. Schüttelfrost, gefolgt von Schweißausbrüchen, gefolgt von Schüttelfrost. Erbrechen mit leerem Magen. Ich fühle mich hohl. Ausgepumpt. Kopf mit Stroh gefüllt. Nun denn! Ich kann nicht arbeiten. Ich kritzle ein paar pseudo-Lumumbasche Zeilen aufs Papier und werfe das Blatt weg. Hundeelend. Immerhin, ein guter Grund, nicht zu dieser albernen Party zu gehen. Ich lese meine unbekannteren metaphysischen Dichter. Einige von ihnen sind gar nicht so schlecht. Traherne, Crashaw, William Cartwright. Zum Beispiel Traherne:
    Die reine Einfalt, der stets Mißbrauch ekelte
Der Macht, und wie der reinste Spiegel,
Wie fleckenlos geriebenes Metall
Sich selbst in des Gebildes Image kleidet,
Und göttlich Impressionen, die sich treffen,
Entflammen läßt die Seele;
Es ist nicht das Gebild, es ist das Licht
Des Himmels, ist reiner klarer Blick
Glückseligkeit
Erscheint nur jenen, die des reinen Blicks.
    Danach abermals erbrochen. Was nicht als Ausdruck meiner Kritik zu werten ist. Fühlte mich eine Zeitlang besser. Ich müßte Judith anrufen. Mir von ihr Hühnersuppe kochen lassen. Oy veh . Veh is mir.
    Samstag. Ich erhole mich auch ohne Hühnersuppe und beschließe, doch zu dieser Party zu gehen. Veh is mir, mitten zwischen Schwarzen. Warum hat David sich von Judith aus seiner Höhle locken lassen? Eine, endlose Subwayfahrt nach Süden; Schwarze, bis obenhin voll Wochenendalkohol, verleihen dem alltäglichen Abenteuer in den öffentlichen Verkehrsmitteln von Manhatten eine ganz besondere Note. Endlich die vertraute Station an der Columbia University. Ich muß ein paar Häuserblocks weit zu Fuß gehen. Zitternd, für das Winterwetter nicht warm genug angezogen, komme ich schließlich an das riesige, alte Wohnhaus am Riverside Drive in Höhe der 112th Street, in dem Claude Guermantes hausen soll. Zögernd bleibe ich draußen stehen. Ein bösartiger, eiskalter Wind bläst quer über den Hudson und greift nach mir, trägt den Abfall von New Jersey zu mir herüber. Tote Blätter wirbeln im Park. Drinnen beäugt mich ein mahagonifarbener Portier. »Professor Guermantes?« frage ich. Er winkt mit dem Daumen. »Sechster Stock, 7-G.« Sein Finger deutet auf den Fahrstuhl. Ich komme spät; es ist schon fast zehn. Aufwärts geht’s in dem müden Otis-Lift, knarz, knarz, knarz, knarz, die Fahrstuhltüren rollten zur Seite, ein Seidensiebdruck im Korridor weist den Weg zu Guermantes’ Wohnung. Als ob dieser Hinweis nötig wäre! Phonstarker Lärm zu meiner Linken verrät mir, wo die Party stattfindet. Ich klingle. Warte. Nichts. Klingle noch einmal. Zu laut, sie können mich nicht hören. Ach, könnte ich jetzt Gedanken aussenden statt nur

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