Es stirbt in mir
ihr, unter das richtige Symbol an der Tafel einen Punkt zu machen. Barbara markierte das Quadrat. Miß Mueller sah sich die nächste Karte an. Stern, dachte David.
»Wellen«, riet Victor. Barbara markierte den Stern.
»Plus.« Quadrat, du Esel! Quadrat.
»Kreis.« Kreis. Kreis. Erregtes Gemurmel in der Klasse, als Victor dieses Symbol richtig erriet. Miß Mueller verlangte funkelnden Blickes Schweigen.
»Stern.« Wellen. Barbara markierte die Wellen.
»Quadrat.« Quadrat stimmte auch David zu. Quadrat. Wieder Gemurmel, diesmal gedämpfter.
Victor riet sich durchs ganze Spiel. Miß Mueller hatte gewissenhaft Buch geführt: vier Richtige. Weniger als der Zufall. Sie ließ ihn noch einmal raten. Fünf. Lieber Victor, du magst ja recht sexy sein, ein Telepath bist du nicht. Miß Muellers Blick schweifte in die Runde. Eine zweite Versuchsperson? Bitte nicht mich, betete David inbrünstig. Lieber Gott, bitte nicht mich! Sie rief Sheldon Feinberg auf. Der hatte beim erstenmal fünf, beim zweitenmal sechs Richtige. Recht ordentlich, aber kaum überdurchschnittlich. Dann Alice Cohen. Vier und vier. Unfruchtbarer Boden, Miß Mueller. David, der sich auf jede Karte konzentrierte, hatte jedesmal fünfundzwanzig Richtige gehabt, aber das wußte außer ihm natürlich niemand.
»Der nächste?« fragte Miß Mueller. David ging auf Tauchstation. Wie lange noch, bis es endlich zur Pause läutete? »Norman Heimlich.« Der fette Norman watschelte zum Lehrerpult. Miß Mueller sah sich die erste Karte an. In ihren Gedanken las David das Bild eines Sterns. Als er nun Normans Geist sondierte, entdeckte David dort zu seinem größten Erstaunen die Andeutung eines Bildes, eines Sterns, der sich zu einem Kreis umformte und dann wieder zum Stern wurde. Was war denn das? Sollte der widerwärtige Heimlich tatsächlich einen Anflug von telepathischen Fähigkeiten besitzen? »Kreis«, sagte Norman leise. Das nächste Symbol aber traf er richtig – die Wellen –, und das nächste, das Quadrat, ebenfalls. Er schien tatsächlich Emanationen von Miß Muellers Geist aufzufangen – vage zwar und undeutlich, aber immerhin Emanationen. Nicht zu fassen! Der dicke Heimlich besaß Rudimente der Gabe! Aber nur Rudimente; David, der abwechselnd seine und die Gedanken der Lehrerin sondierte, sah, wie die Bilder immer verschwommener wurden und bei der zehnten Karte ganz verschwanden. Die Erschöpfung hatte Normans schwach ausgeprägte Fähigkeit besiegt. Trotzdem erzielte er einen Durchschnitt von sieben, bisher den weitaus besten. Die Klingel, betete David. Die Klingel, die Klingel, die Klingel! Immer noch zwanzig Minuten.
Ein kleiner Aufschub. Miß Mueller verteilte Testbogen. Sie wollte die ganze Klasse gleichzeitig prüfen. »Ich werde die Zahlen von eins bis fünfundzwanzig aufrufen«, erklärte sie. »Sobald ich eine aufrufe, notiert ihr das Symbol, das ihr zu sehen glaubt. Fertig? Eins. «
David sah einen Kreis. Wellen, schrieb er.
Stern. Quadrat.
Wellen. Kreis.
Als der Test sich dem Ende näherte, fiel ihm ein, daß er, indem er nur falsche Symbole aufschrieb, wahrscheinlich einen taktischen Fehler machte. Ich muß zwei oder drei Richtige haben, nur zur Tarnung, dachte er. Aber jetzt war es dafür zu spät. Es blieben nur noch vier Zahlen, und wenn er jetzt plötzlich mehrere richtig hatte, nachdem alle vorangegangenen falsch waren, würde das auch wieder auffallen. Also schrieb er weiter falsche Symbole.
»Und jetzt tauscht euren Bogen mit dem eures Banknachbarn und prüft seine Antworten«, sagte Miß Mueller. »Fertig? Nummer eins: Kreis. Nummer zwei: Stern. Nummer drei: Wellen. Nummer vier…«
Gespannt rief sie die Resultate ab. Hatte jemand zehn oder mehr Richtige? Nein, Miß Mueller. Neun? Acht? Sieben? Norman Heimlich hatte wieder sieben. Er spreizte sich wie ein Pfau: Heimlich, der Gedankenleser. David ärgerte sich, daß Heimlich diese Gabe besaß, und sei es auch nur zu einem so geringen Teil. Sechs? Vier Schüler hatten sechs. Fünf? Vier? Eifrig notierte Miß Mueller die Resultate. Sonstige Zahlen? Sidney Goldblatt begann zu kichern. »Miß Mueller, was ist mit null?«
Sie war verblüfft. » Null? Hat etwa jemand alle fünfundzwanzig falsch?«
Großer Gott!
»Ja. David Selig.«
Am liebsten wäre David im Boden versunken. Alle Blicke ruhten auf ihm. Grausames Gelächter brandete ihm entgegen. David Selig hatte alle falsch. Das war genauso, als hätten sie gesagt: David Selig hat in die Hose gemacht, David Selig hat
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