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Es stirbt in mir

Es stirbt in mir

Titel: Es stirbt in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Blicken, die sie ihm zuwirft, muß sie sogar seine Geliebte gewesen sein. Ist es vielleicht auch noch. Aber ich habe Hemmungen, die Antwort darauf in ihrem Kopf zu suchen. Meine Übergriffe auf Judiths Intimsphäre sind ohnehin ein wunder Punkt in unseren Beziehungen. »Ich möchte euch meinen Bruder David vorstellen«, sagte Judith.
    Silvestri strahlt. »Ich habe schon viel von Ihnen gehört, Mr. Selig.«
    »Ach, wirklich?« (Weißt du, Karl, ich habe da diesen komischen Bruder. Kannst du dir vorstellen, daß der tatsächlich Gedanken liest? Deine Gedanken sind für ihn so klar wie eine Rundfunksendung.) Wieviel hat Judith ihm tatsächlich über mich erzählt? Ich werde ihn sondieren und nachsehen. »Und sagen Sie bitte David zu mir. Sie sind Dr. Silvestri, nicht wahr?«
    »Ganz recht. Aber Karl. Nennen Sie mich ruhig Karl.«
    »Ich habe viel von ihnen gehört, durch Jude«, sage ich. Und jetzt sondieren. Meine furchtbare, dahinschwindende Gabe; ich bekomme nur statistische Geräusche, unverständliche Fetzen unverständlicher Gedanken. Sein Geist ist für mich nicht zugänglich. In meinem Kopf beginnt es zu klopfen. »Sie hat mir zwei Ihrer Bücher gezeigt. Ich wollte, ich könnte so schwere Kost verdauen!«
    Erfreutes Lachen des überheblichen Silvestri. Judith beginnt, mich Guermantes vorzustellen. Er sei erfreut, meine Bekanntschaft zu machen, murmelt er undeutlich. Beinahe erwarte ich, daß er mich auf die Wange küßt, oder vielleicht auf die Hand. Seine Stimme ist sanft, schmeichelnd; er spricht mit Akzent, aber nicht mit französischem. Es ist ein sonderbarer Akzent, eine Mischung, möglicherweise frankoitalienisch oder frankospanisch. Aber in ihm kann ich wenigstens lesen, sogar jetzt; irgendwie bleibt sein Geist, obwohl flüchtiger und unsteter als Silvestris, doch immer in meiner Reichweite. Ich dringe ein und sehe mich um, obwohl wir immer noch Platitüden über das Wetter und die Wahl austauschen. Himmel! Casanova Redivivus! Er hat mit allem, was da kreucht und fleucht, geschlafen, Männlein, Weiblein, Neutrum, darunter natürlich auch meine so zugängliche Schwester Judith, die er – laut seiner sauber geordneten Oberflächenerinnerung – vor fünf Stunden erst in diesem Zimmer aufs Kreuz gelegt hat. Sein Samen stockt jetzt in ihrem Leib. Irgendwie läßt es ihm keine Ruhe, daß sie bei ihm nie gekommen ist; er interpretiert es als ein Versagen seiner unfehlbaren Technik. Der Herr Professor erwägt auf sehr kultivierte Art und Weise die Möglichkeit, auch mich noch vor dem Ende dieser Nacht zu nageln. Hat keinen Zweck, du nimmermüdes geiles Professorchen! Ich werde mich nicht zu deiner Selig-Sammlung gesellen. Freundlich erkundigt er sich nach meinen akademischen Graden. »Ich habe nur einen«, antworte ich. »Den Bachelor of Arts von 1956. Eigentlich wollte ich noch in englischer Literatur graduieren, aber dann bin ich nie dazu gekommen.« Er lehrt Rimbaud, Verlain, Mallarme, Baudelaire, Lautreamont, die ganze anomale Bande, und identifiziert sich im Geist mit ihnen; in seinen Vorlesungen hocken scharenweise Bewunderinnen, Barnard-Girls, die ihre Beine bereitwillig für ihn breit machen, obwohl er in einer Rimbaud-Stimmung auch nicht abgeneigt ist, gelegentlich mit kräftigen Columbia-Jungs die Matratze zu teilen. Während er sich mit mir unterhält, streichelt er liebevoll und besitzergreifend Judiths Schulterblätter. Dr. Silvestri scheint entweder nichts zu merken oder sich nichts draus zu machen. »Ihre Schwester ist ein Wunder«, murmelt Guermantes, »ein Original, ein Prachtstück – ein type, M’sieu Selig, a type. « Ein Kompliment, auf abartige Weise. Ich stochere abermals in seinen Gedanken herum und erfahre, daß er einen Roman schreibt, einen Roman über eine verbitterte, sinnliche, junge geschiedene Frau und einen französischen Intellektuellen, der eine Inkarnation der Lebenskraft ist. Er erwartet, daß ihm das Buch Millionen einbringt. Der Mann fasziniert mich: so marktschreierisch, so gekünstelt, so manipulierbar und dennoch, trotz all seiner offensichtlichen Fehler, so attraktiv. Er bietet mir Cocktails an, Highballs, Likör, Brandy, Pot, Hasch, Kokain, alles, was ich haben will. Ich fühle mich eingeengt und verdrücke mich, um mir erleichtert einen Schluck Rum zu holen.
    Am Bartisch spricht mich ein Mädchen an. Eine von Guermantes’ Studentinnen, höchstens zwanzig. Dickes, schwarzes Haar, das in Locken herabfällt; Stupsnase; wilde, wachsame Augen; volle, fleischige Lippen.

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