Es stirbt in mir
wollte. Warten Sie, ich erkläre es Ihnen. Wenn Sie mir eine Minute die Papiere geben, damit ich Ihnen einige Sätze vorlesen kann, sehen Sie vielleicht klarer…« Ich stehe auf und strecke die Hand nach den Papieren aus, aber er grinst nur und hält sie hoch über meinen Kopf. Ich müßte eine Leiter haben, um dranzukommen. Springen hat ebenfalls keinen Zweck. »Verdammt noch mal, geben Sie her! Ich lasse nicht mit mir herumspielen!« brülle ich, aber er macht eine flinke Handbewegung, und die sechs Blätter segeln davon, werden vom Wind den College Walk entlanggetrieben. Erschüttert sehe ich ihnen nach. Ich balle die Fäuste; innerlich explodiere ich vor Wut. Am liebsten hätte ich ihm das höhnisch verzogene Gesicht zerschmettert. »Das hätten Sie nicht tun sollen«, sage ich. »Sie hätten sie nicht wegwerfen dürfen.«
»Sie schulden mir fünf Dollar, man. «
»Moment mal! Ich habe den Auftrag ausgeführt, den Sie mir gegeben haben, und…«
»Sie haben gesagt, wenn die Arbeit nichts wert ist, bekomme ich mein Geld zurück. Okay, die Arbeit war Scheiße. Also brauche ich nichts zu bezahlen. Geben Sie mir den Vorschuß zurück.«
»Das ist nicht fair, Lumumba! Sie wollen mich bescheißen!«
»Wer will hier wen bescheißen? Wer hat denn gesagt, daß ich das Geld zurückkriege, wenn Ihre Arbeit nichts wert ist? Ich etwa? Sie! Wo soll ich jetzt eine Semesterarbeit hernehmen? Ich muß ein unvollständiges Examen ablegen, und das ist einzig und allein Ihre Schuld. Wenn ich deswegen nun nicht mehr ins Team komme? Hah? Hah? Was dann? Man, mir wird ja schlecht, wenn ich Sie sehe. Her mit dem Fünfer!«
Ob er es ernst meint, mit der Forderung? Ich weiß es nicht. Der Gedanke, ihm das Geld zurückgeben zu müssen, ist mir schrecklich, und das nicht nur wegen des finanziellen Verlustes. Ich wünschte, ich könnte seine Gedanken lesen, aber auf dem Sektor ist nichts zu machen; ich bin vollkommen blockiert. Also werde ich ihn bluffen. »Ihre Arbeit habe ich geschrieben. Daß Sie sie aus irgendwelchen irrationalen Gründen ablehnen, ist mir egal. Ich behalte die fünf Dollar. Wenigstens die fünf.«
»Geben Sie mir das Geld, man! «
»Lecken Sie mich…«
Ich mache kehrt und will davongehen. Er packt mich – sein Arm muß mindestens so lang sein wie mein Bein – und reißt mich zu sich heran. Er schüttelt mich. Meine Zähne klappern. Er grinst sogar noch breiter als sonst, seine Augen aber sind dämonisch. Ich schwenke drohend die Fäuste, kann ihn, der mich auf Armeslänge von sich hält, aber nicht erreichen. Ich schreie. Eine Schar Neugieriger sammelt sich. Plötzlich sind wir von drei oder vier weiteren Männern in Teamjacken umgeben, alle schwarz, alle gigantisch, wenn auch nicht ganz so groß wie er. Seine Mannschaftskameraden. Sie lachen, johlen, reißen Witze. Sie betrachten mich als Spielzeug. »He, man, will der was von dir?« fragt einer. »Brauchst du Hilfe, Yahya?« ein anderer. »Wollen wir’s diesem Sauhund mal zeigen?« ein dritter. Sie bilden einen Ring, und Lumumba stößt mich zu dem Mann links von ihm hinüber, der mich fängt und mich seinerseits weiter im Kreis herumwirft. Ich wirble; ich stolpre; ich taumle; kein einziges Mal lassen sie mich fallen. Immer herum, und herum, und herum. Ein Ellbogen kracht gegen meine Lippe. Ich schmecke Blut. Jemand ohrfeigt mich, und mein Kopf fliegt zurück. Finger graben sich zwischen meine Rippen. Mir ist klar, daß ich schwere Verletzungen davontragen werde, daß diese Kerle mich zusammenschlagen. Eine Stimme, die ich kaum als meine eigene erkenne, bietet Lumumba die Rückzahlung an, aber keiner schert sich darum. Weiter schleudern sie mich von einem zum anderen. Jetzt schlagen sie nicht, jetzt stoßen sie nicht, jetzt teilen sie Boxhiebe aus. Wo ist die Campuspolizei? Hilfe! Hilfe! Die ›pigs‹ sollen mich retten! Doch niemand kommt. Ich kriege keine Luft mehr. Ich möchte auf die Knie fallen und mich fest an den Boden pressen. Sie beschimpfen mich, mit Worten, die ich kaum verstehe, Soul-Brother-Jargon, der erst von vorgestern stammen kann; ich weiß nicht, mit welchen rassistischen Beleidigungen sie mich belegen, aber ich spüre ihren Haß in jeder Silbe. Hilfe? Hilfe? Die Welt dreht sich wie verrückt. Jetzt weiß ich, was ein Basketball empfinden würde, wenn ein Basketball fühlen könnte. Das ununterbrochene Schlagen, der Wirbel nicht endenwollender Bewegung. Helft mir doch, bitte, irgend jemand, helft mir, sagt ihnen, sie sollen aufhören.
Weitere Kostenlose Bücher