Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es stirbt in mir

Es stirbt in mir

Titel: Es stirbt in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
bestehen; die meisten Antworten wußte er, und diejenigen, die er nicht wußte, fand er in den Gedanken seiner Mitbewerber, von denen die meisten von klein auf mit der Börse vertraut waren. Selig bestand den Test mit Glanz und bekam die Anstellung. Nach einer kurzen Einweisungszeit bestand er auch die Lizenzprüfung, und so dauerte es nicht lange, bis er als eingetragener Vertreter eines verhältnismäßig jungen Maklerbüros am Broadway in der Nähe der 72nd Street arbeitete.
    Er war einer von fünf Maklern, alle fünf ziemlich jung. Die Klienten waren vorherrschend jüdisch und im allgemeinen Greise: 75jährige Witwen aus den riesigen Apartmenthäusern an der 72nd Street oder zigarrenkauende ehemalige Bekleidungsfabrikanten, die an der West End Avenue und dem Riverside Drive wohnten. Einige von ihnen verfügten über eine Menge Geld, das sie möglichst vorsichtig investierten. Andere hatten kaum einen roten Heller, ließen sich aber nicht davon abbringen, vier Aktien Con Edison oder drei Aktien Telephone zu erwerben, nur um sich die Illusion der Wohlhabenheit zu bewahren. Da die meisten Klienten schon älter waren und nicht mehr arbeiteten, wurde der größte Teil der Transaktionen persönlich im Büro anstatt per Telefon erledigt; vor dem Ticker saßen ständig zehn bis zwölf Alte und erzählten sich was, während hin und wieder einer von ihnen zum Schreibtisch seines Lieblingsmaklers hinübertrottete und eine Order plazierte. An Seligs viertem Arbeitstag erlag einer der altehrwürdigen Klienten während eines Anstiegs um neun Punkte einem Herzschlag. Niemand schien groß darüber verwundert oder betrübt, weder die Makler noch die Freunde des armen Opfers: Selig erfuhr, daß ungefähr einmal im Monat ein Kunde in den Büroräumen starb. Kismet. Von einem gewissen Alter an ist man darauf gefaßt, daß Freunde plötzlich tot umfallen. Ziemlich schnell stieg er zum Favoriten auf, vor allem bei den alten Damen; sie mochten ihn, weil er so ein nettes jüdisches Jüngelchen war, und nicht wenige erboten sich, ihn mit ihren schönen Enkelinnen bekannt zu machen. Diese Angebote lehnte er jedesmal höflich ab; er machte es sich überhaupt zum Prinzip, höflich und geduldig mit ihnen zu sein, den liebevollen aufmerksamen Enkel zu spielen. Die meisten von ihnen waren ungebildete, völlig ignorante Frauen, von ihren hart arbeitenden, gewinnsüchtigen und herzanfälligen Ehemännern im Zustand lebenslanger Naivität gehalten; jetzt, da sie mehr Geld geerbt hatten, als sie ausgeben konnten, hatten sie keine Ahnung, wie man damit umging, und mußten sich blind auf den netten, jungen Makler verlassen. Wenn Selig ihre Gedanken sondierte, fand er sie unweigerlich schwerfällig und fürchterlich ungeformt – wie konnte man fünfundsiebzig werden, ohne jemals eine eigene Idee gehabt zu haben? –, vereinzelte der lebhafteren Ladys bewiesen jedoch eine auf ihre Art reizende, stark ausgeprägte und leidenschaftliche Bauernschläue und die entsprechende Portion Habgier. Die Männer waren weniger angenehm: Sie stanken vor Geld und es gelüstete sie doch ewig nach mehr. Ihr einfach vulgärer, wilder Ehrgeiz stieß ihn ab, deswegen warf er auch nur einen Blick in ihren Geist, wenn es unbedingt nötig war, und dann auch nur, um sich eine bessere Vorstellung von ihren Wünschen zu machen, damit er sie so bedienen konnte, wie sie bedient werden wollten. Ein Monat unter derartigen Menschen, fand er, und selbst Rockefeller würde zum Sozialisten.
    Die Geschäfte gingen regelmäßig, aber nicht weiter aufregend; nachdem er sich seine Stammkundschaft gesichert hatte, betrug Seligs Courtage bis zu 160 Dollar pro Woche – wesentlich mehr, als er jemals verdient hatte, aber kaum soviel, wie Makler nach seinen Vorstellungen einzunehmen pflegten. »Sie haben Glück, daß Sie im Frühjahr gekommen sind«, erklärte ihm einer der anderen Kundenberater. »In den Wintermonaten sind alle Klienten in Florida, und wir können verhungern, bis jemand uns hier was verdienen läßt.« Wie Nyquist vorausgesagt hatte, konnte er ein paar schöne Gewinne einstecken, wenn er in seine eigene Tasche makelte; im Büro kursierten immer Nachrichten über hübsche, kleine Geschäftchen, heiße Tips, die hielten, was sie versprachen. Selig begann mit ersparten 350 Dollar und vermehrte diesen Grundstock rasch zu einer vierstelligen Summe, zog Profit aus Chrysler, Control Data, RCA und Sunray DX Oil, kaufte und verkaufte aufgrund von Gerüchten über Fusionierungen,

Weitere Kostenlose Bücher