Es stirbt in mir
hat, ob ich den Verlust meiner mentalen Gabe jemals als eine Metapher der Impotenz betrachtet habe. Manchmal ja, habe ich ihr geantwortet. Und jetzt, hier, deckt sich die Metapher zum erstenmal mit der Wirklichkeit; die beiden Komponenten meines Versagens verschmelzen. Er ist hier impotent, und er ist da impotent. Armer David. »Irgendwas hat mich abgelenkt«, antworte ich. Immerhin, sie ist geschickt; eine halbe Stunde lang bearbeitet sie mich, Finger, Lippen, Zunge, Haar, Brüste, ohne eine Reaktion auszulösen; im Gegenteil, ihre Hartnäckigkeit läßt mich noch mehr erkalten, wird mir immer mehr zuwider. »Das verstehe ich nicht«, sagt sie schließlich. »Es ging doch so gut. Habe ich irgendwas an mir, was dich abgestoßen haben kann?« Ich beruhige sie. Du warst großartig, Baby. Sowas kommt eben manchmal vor, warum, weiß keiner. »Paß auf, wir ruhen uns jetzt ein bißchen aus«, schlage ich vor. »Vielleicht bringen wir ihn dann wieder hoch.« Wir ruhen aus. Seite an Seite. Während ich zerstreut ihre Haut streichele, mache ich ein paar Sondierungsversuche. Nichts rührt sich in der Telepathie. Überhaupt nichts. Grabesstille. Ist dies das Ende, jetzt und hier? Ist das Feuer jetzt ausgebrannt? Bin ich jetzt wie alle anderen, verdammt dazu, mich mit Worten zu begnügen? »Warte, ich habe eine Idee«, sagt sie. »Laß uns zusammen duschen gehen. Das bringt einen Mann gelegentlich wieder hoch.« Ich erhebe keine Einwände; vielleicht klappt es, und außerdem wird sie hinterher wenigstens besser riechen. Wir gehen ins Bad. Sturzbäche frischen, kalten Wassers.
Erfolg! Die Liebkosungen ihrer seifigen Hand beleben mich.
Wir sprinten zum Bett. Immer noch steif, besteige ich sie hastig und nehme sie. Keuch, keuch, keuch, stöhn, stöhn, stöhn. Auf der mentalen Ebene – nichts. Plötzlich wird sie von einem komischen, kleinen Krampf gepackt, intensiv, aber kurz, und sofort erfolgt auch mein eigener Erguß. Das war’s also, was den Sex betrifft. Eng aneinandergeschmiegt geben wir uns dem Abklingen der Emotionen hin. Ich versuche sie wieder zu sondieren. Zero. Zeero. Ist es aus? Ich glaube, es ist wirklich aus. Sie haben heute an einem historischen Ereignis teilgenommen, Lady. Am Untergang einer bemerkenswerten außersinnlichen Wahrnehmungsgabe. Zurück bleibt lediglich meine sterbliche Hülle. Sei’s drum!
»Ich würde gern ein paar Gedichte von dir lesen, Dave«, sagt sie.
Montagabend, ungefähr halb acht. Lisa ist endlich fort. Ich gehe in der benachbarten Pizzeria essen. Ich bin ganz ruhig. Noch macht sich die Wirkung des Schicksalsschlag, der mich betroffen hat, nicht bemerkbar. Seltsam, daß ich ihn so akzeptiere. Aber ich weiß, daß mich die Wirkung in jeder Sekunde überfallen, mich zu Boden werfen, mich zerschmettern kann; dann werde ich weinen, werde ich schreien, werde ich mit dem Kopf gegen die Wand rennen. Vorerst jedoch bin ich erstaunlich kühl. Ein sonderbar posthumes Gefühl, als hätte ich mich selbst überlebt. Und auch ein Gefühl der Erleichterung: die Nervenanspannung ist vorbei, der Vorgang ist abgeschlossen, das Sterben getan, und ich habe es überlebt. Natürlich erwarte ich nicht, daß diese Stimmung anhält. Ich habe die Mitte meines Seins verloren und warte nun auf den Schmerz, den Kummer und die Verzweiflung, die in mir sicher bald aufbrechen werden.
Aber es scheint, daß ich meine Trauer aufschieben muß. Was ich für abgeschlossen hielt, ist immer noch nicht vorüber. Als ich die Pizzeria betrete, wirft mir der Verkäufer sein ausdrucksloses, kaltes New Yorker Willkommenslächeln zu, und aus den Gedanken hinter seiner fettglänzenden Stirn kommt es mir klar und deutlich entgegen: He, da kommt der Kerl, der immer eine Extraportion Anchovis will.
Es ist also doch nicht tot! Noch nicht ganz tot! Es ruht sich nur eine Weile aus. Versteckt sich nur ein bißchen vor mir.
Dienstag. Bitter kalt; einer von den schrecklichen Herbsttagen, an denen der Luft anscheinend auch das letzte bißchen Feuchtigkeit entzogen und das Sonnenlicht wie ein Messer ist. Ich beende zwei weitere Semesterarbeiten, die morgen abgeliefert werden müssen. Ich lese Updike. Nach dem Lunch ruft Judith an. Die übliche Einladung zum Abendessen. Meine übliche ausweichende Antwort.
»Wie gefällt dir Karl?« fragt sie.
»Ein Mann mit Substanz.«
»Er will mich heiraten.«
»Ja, und?«
»Es ist zu früh. Ich kenne ihn doch noch gar nicht richtig. Ich mag ihn, Dav, ich bewundere ihn sehr, aber ich weiß nicht,
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