Es tut sich was im Paradies
Rahm den Bart schleckt. Wahrscheinlich hatte sie auch nicht mehr Verstand als das verspielte kleine Tier, dem sie so ähnlich sah, aber auf jeden Fall war sie der Typ, der auf Männer anziehend wirkt. Ihr Mann vergötterte sie offensichtlich, schien jedoch ihrer kapriziösen Art etwas fassungslos gegenüberzustehen. Er war, im Verhältnis zu ihren achtzehn oder neunzehn, viel älter, schätzungsweise dreißig, und entsprach bei Licht ziemlich genau der Vorstellung, die sich Pippa von ihm gemacht hatte. Solide, nett und gutmütig, nicht ausgesprochen groß oder gar gut aussehend, aber verläßlich und gewissermaßen erfahren, wenn auch nicht in puncto Frauen und schon gar nicht, fügte Pippa in Gedanken schnippisch hinzu, was deren Alter betraf.
Bald saßen sie zusammen in der kleinen, freundlichen Küche beim Abendbrot, und Pippa erzählte ihnen ausführlich von ihrer Erbschaft und der Suche nach einem netten bescheidenen Dorf, wo sie sich eine Leihbücherei einrichten könnte.
»Ich muß wohl schon lange von der Hauptstraße abgekommen sein, denn ich wurde mit einem Mal während des Nachmittags so schläfrig, und dabei habe ich wahrscheinlich den Wegweiser übersehen. Nun muß ich morgen wieder zurückfahren und die Abzweigung finden. Zu dumm.«
Kittys Augen wurden immer größer und runder. Man konnte die geballten Gedanken hinter ihrer Stirn förmlich arbeiten sehen, und schon platzte sie auch damit heraus.
»Nein, Sie dürfen nicht wieder zurückfahren. Sie müssen weiter — weiter nach Rangimarie. Das ist genau der richtige Ort für Sie. Das, was Sie sich wünschen, Meer und Strand und schönes, warmes Wetter und viel Leute im Sommer, die Bücher lesen wollen... Oh, kommen Sie doch nach Rangimarie. Alec, sie muß einfach, nicht wahr? Es liegt nur sieben Kilometer von hier entfernt, und für uns wäre es so nett, Sie in der Nähe zu haben.«
»Unverheiratete Tante immer in Reichweite«, bemerkte Pippa.
»Jemand, zu dem du immer rennen kannst, wenn du mich satt hast«, warf Alec ein.
»Jemand, der anders ist als all die langweiligen Weiber hier ringsherum«, trotzte Kitty. »Und jemand, der mich nicht anbrüllt.« Dabei schleuderte sie ihrem Mann einen herausfordernden Blick unter ihren langen Wimpern zu und schmiegte ihre Hand in die Pippas.
»Kommen Sie, wir gehen zu Bett. Schon zwei Uhr, und Alec muß früh aufstehen, um seine dummen Kühe zu melken. Aber Sie sollen sich ausruhen — nicht weil sie eine alte Tante sind oder klapprig auf den Beinen oder sonst was, sondern weil wir Sie dann nach Rangimarie bringen und Sie frisch und ausgeschlafen sein müssen, damit Sie sich gleich entscheiden können.«
Sie waren wirklich nett und gastfreundlich zu ihr. Pippa vergaß ihre weltverbessernden Ambitionen völlig und bereute nicht einmal, daß sie diese günstige Gelegenheit nicht besser ausgenutzt hatte. Sie dachte nur daran, daß es ein ganz außergewöhnlicher, ereignisreicher Tag gewesen war und dazu noch ein sehr, sehr langer. Und im nächsten Moment sank sie schon in tiefen, friedlichen Schlaf.
4
»Was bedeutet eigentlich Rangimarie?« fragte Pippa am nächsten Morgen, als sie an dem Ortsschild vorüberfuhren.
»Das ist Maori und heißt >friedliches Paradies<«, lispelte Kitty. »Hübsch, nicht? Ich finde immer, Namen sind so entscheidend.«
Pippa hatte mittlerweile entdeckt, daß ihre junge Gastgeberin, wie alle Leute, die sich keine eigene Meinung bilden, die Angewohnheit besaß, ihre Sätze mit >ich finde immer< anzufangen.
Ja gewiß, friedlich sah das Dorf aus, dachte sie, aber es entsprach auch nicht im entferntesten dem, was sie sich unter einem Paradies vorstellte. Sie war bitter enttäuscht. Es schien nur aus einer einzigen, langen, ungeordneten Reihe armseliger kleiner Kramläden zu bestehen, zwischen denen hin und wieder einmal ein altes, vergessenes und dem Verfall überlassenes Haus stand. Die Straße wand sich bald hierhin, bald dorthin, anscheinend nur mit dem einen Ziel, möglichst jeden schönen Ausblick oder die Nähe der See zu meiden.
Aber Kitty sagte verheißungsvoll: »Das ist noch nicht alles. Achten Sie nicht auf diese häßliche Dorfgasse, sondern passen Sie auf, wenn wir erst zum Strand kommen mit hübschen, bunten Häuschen.«
»Was Sam West unser hochherrschaftliches Villenviertel nennt«, ergänzte Alec. »Jetzt schläft hier in der Gegend natürlich noch alles und wartet auf den Sommer, aber dann sieht’s ganz anders aus. Wahre Völkerwanderungen, sage
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