Es tut sich was im Paradies
>etwas Leichtes zum Einschlafen< für die Oberschwester suchte, und blinzelte ihr verständnisinnig zu. Doch im nächsten Moment wechselte sie jäh den Ausdruck, ihr Lächeln erstarb, und ihr Gesicht bekam einen harten, abweisenden Zug. Pippa folgte ihrem Blick und sah draußen einen großen, eleganten Wagen vorfahren, an dessen Steuer ein älterer Mann saß mit freundlichem, gutmütigem Aussehen und den treuergebenen Augen eines Spaniels. Einen so harmlosen Menschen sollte Jane nicht leiden mögen? Das konnte sie nicht glauben. Aber dann gewahrte sie noch einen zweiten, äußerlich sehr anders gearteten Insassen im Fond, einen Mann von etwa sechzig Jahren, der auf Kissen gestützt lag und offenbar gelähmt war.
Das mußte Nelson Warren sein, von dem sie schon soviel gehört hatte, der einzige Großgrundbesitzer der Gegend, derselbe, der so eifersüchtig jene schöne Küste für sich allein in Anspruch nahm, an der Pippa damals mit Balduin kampiert und den Alec als »richtiges Rindvieh« bezeichnet hatte. Sein Name war noch öfters gesprächsweise aufgetaucht, und sie wußte jetzt, daß das riesige Landgebiet, das ungefähr fünfzehn Kilometer vom Dorf entfernt lag, lange bevor Rangimarie entstand, kultiviert und bewirtschaftet worden war. Warrens Vater hatte es gekauft, als nur ein unbefahrbarer Lehmpfad hinführte, und mit den modernsten landwirtschaftlichen Methoden und Hilfsmitteln in jahrelanger Arbeit eine ansehnliche, gewinnbringende Großfarm daraus gemacht. Jetzt lebte Nelson Warren hier mit seinem Bruder, jenem freundlich aussehenden Mann am Steuer des Wagens. Er war reich und unausstehlich, seit dem Kriege gelähmt, blickte voll Verachtung auf das Dorf und seine Bewohner herab, haßte die Sommergäste und wurde, da er sich von allen anderen feindselig abschloß, von Herzen wiedergehaßt. Wäre es möglich, daß er ihre Bücherei mit seinem Besuch beehren wollte?
Der Mann am Steuer war ausgestiegen und schlenderte wie absichtslos zur Tür herein.
»Guten Tag. Miss Knox, nicht wahr? Mein Name ist Douglas Warren. Ich — das heißt, mein Bruder — möchte Sie einen Augenblick sprechen, wenn Sie bitte zum Wagen herauskommen wollen.«
»Gern, Mr. Warren, aber es dauert ein paar Minuten. Ich muß mich zuerst um diese Kunden kümmern.«
Ihre gelassene Art schien eine kleine Sensation hervorzurufen. Mrs. West, die gerade nach einem >spannenden Reisebuch für die langweiligen Weihnachtsfeiertage< suchte, schnappte erschrocken nach Luft, und Douglas Warren sah sichtlich betreten drein. Seinen Bruder warten lassen? Das konnte ungemütlich werden.
»Wollen Sie sich nicht inzwischen umschauen, vielleicht finden Sie selbst etwas?« schlug Pippa liebenswürdig vor. Freilich, sie konnte es sich nicht leisten, den reichsten Mann des ganzen Bezirks vor den Kopf zu stoßen, aber sie war keinesfalls gewillt, nach seiner Pfeife zu tanzen und dadurch ihre regelmäßigen Abonnenten zu vernachlässigen. »Ich meine, wenn Ihr Bruder ein Buch ausleihen möchte.«
Dem armen Douglas Warren wurde es zusehends unbehaglicher in seiner Haut. »Vielen Dank, aber ich fürchte, ich würde wenig ausrichten können. Ich bin in der Literatur nicht sehr bewandert und unsere — unsere Geschmacksrichtungen gehen ziemlich weit auseinander.«
In diesem Moment sprang Mrs. West als rettender Engel ein und murmelte Pippa leise zu: »Darf ich Ihnen helfen, Miss Knox? Dann könnten Sie schnell hinauslaufen und fragen, was Mr. Warren wünscht. Die Buchtitel auf einen Zettel schreiben und den Datumsstempel draufdrücken, das kann ich schon.« Und als Pippa zögerte: »Es wäre nett von Ihnen, Kind, wenn Sie es täten, denn der arme Mensch kann doch seit dem Krieg seine Beine nicht mehr gebrauchen und erträgt es nicht, wenn man ihn warten läßt.«
Pippa dankte ihr und ging hinaus. Nelson Warren beugte sich schon mit ärgerlichem Stirnrunzeln aus dem Wagenfenster. Sein Gesicht war nicht angenehm, obwohl es sicherlich früher einmal gut ausgesehen haben mochte, aber Krankheit und unbeherrschte Launen hatten seine Züge vergröbert, und der Ausdruck arroganter Unduldsamkeit stieß Pippa ab. Zum ersten Mal in ihrem Leben beschlich sie das Gefühl, mit einem bösen Menschen in Berührung zu kommen.
»Guten Tag. Kann ich etwas für Sie tun?«
»Das hängt davon ab, ob Sie in Ihrem Laden überhaupt lesenswerte Bücher haben. Vermutlich nicht, aber die verwünschte Bibliothek in der Stadt hat mich mit einer regelmäßigen Sendung im Stich gelassen.
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