Es tut sich was im Paradies
gehen. Sie hatte nicht die geringste Lust, sich mit Mark zu unterhalten. Alles, wonach sie verlangte, war Stille, Dunkelheit und das beruhigende Gefühl, daß Mohr neben ihrem Bett lag und sie nur die Hand nach seinem Kopf auszustrecken brauchte. Sie wollte den Samstagabend vergessen und nicht noch darüber sprechen müssen.
»Hallo, Mark. Bin schon mit einem Bein im Bett. Wahnsinnig müde.«
»Hallo, mein Kind. Müde? Ja, Sie sehen richtiggehend elend aus. Doch nicht aus Kummer über Nelson Warren, hm?«
»Seien Sie still, Mark«, fuhr Pam rasch dazwischen. »Pippa hat in den letzten Tagen so viel von Nelson Warren gehört, daß ihr übel wird, wenn man nur den Namen erwähnt. Außerdem wenig taktvoll, so zu reden, wo doch morgen erst die Leichenschau ist mit allem Drum und Dran.«
Die Leichenschau verlief so, wie John Horton vorausgesagt hatte. Die Halle war gedrängt voll von Menschen, aber die Amtshandlung ging sehr rasch vonstatten. Der ärztliche Befund ließ keine Zweifel offen, und es war unschwer zu merken, daß jedes von Dr. Horton geäußerte Wort bei allen Anwesenden großes Gewicht hatte. Douglas brach beinah zusammen, als er gestehen mußte, daß er weder etwas gesehen noch gehört, sondern geschlafen hatte, statt zu wachen. Der Leichenbeschauer fühlte Mitleid mit ihm.
»Sie haben unser aller aufrichtige Anteilnahme, Mr. Warren, aber Sie sollten nicht sich die Schuld geben. Ihre uneigennützige Treue zu Ihrem Bruder ist allgemein bekannt, und die menschliche Natur hat ihre Grenzen.«
Das Gutachten lautete auf Tod durch Überdosis von Schlafmitteln, vom Verstorbenen in einem durch lange Krankheit und schmerzhafte Leiden bedingten Anfall von Schwermut selbst verursacht. Der Beamte schloß mit einem gefühlvollen Hinweis auf den tragischen Tribut, den ein Weltkrieg fordere, und jedermann verließ den Schauplatz mit dem verwirrenden Empfinden, daß Nelson Warren ein edler Held und kein bösartiger Tyrann gewesen sei. Pam lachte ziemlich ungebührlich, als Mark davon berichtete.
»So eine alberne Salbaderei. Als ob er der einzige gewesen wäre, der im Krieg verwundet worden ist. Andere haben genausoviel gelitten, nur er konnte sein Los nicht mit Haltung tragen. Ach, kommen Sie mir jetzt nicht mit >de mortuis...< Es ist das einzige Latein, das ich kenne und obendrein eine Lüge. Es tut keinem Toten weh, wenn man die Wahrheit über ihn sagt. Dagegen sollte man bei den Lebenden viel vorsichtiger sein.«
Pam glühte vor Eifer. Sie meinte es völlig ernst, und Mark hing mit anbetenden Blicken an ihr. In seinen Augen war sie nicht nur das schönste Mädchen auf der Welt, sondern auch das mutigste und so hinreißend ursprünglich. Pippa seufzte. Das sah ja ein Blinder, daß die Situation ihrem Einfluß ganz und gar entglitten war, obwohl sie andererseits den festen Entschluß gefaßt hatte, überhaupt keinen Einfluß mehr, auf wen oder was es auch sein möge, auszuüben.
Das Merkwürdige daran war, daß Pam vollkommen aufgehört hatte, über Mark zu sprechen, und das beschäftigte Pippa am meisten. Sie versuchte, die ganze Affäre von einem anderen Gesichtspunkt aus zu beurteilen, nicht als leichten Flirt, sondern als eine Beziehung, bei der Pams Gefühle eine ernste Rolle spielten. Aber es hatte keinen Sinn. Sie konnte Dr. Horton nur nachträglich recht geben, der davor gewarnt hatte, Mark eine Lektion erteilen zu wollen. Vielleicht hätte sie doch auf ihn hören sollen, als er sie bat, sich nicht in anderer Leute Angelegenheiten zu mischen.
Und nicht nur die Sorge um Pam belastete sie, der Gedanke an Douglas Warren ging ihr Tag und Nacht nicht aus dem Sinn, und obwohl sie sich geschworen hatte, ihn auf keinen Fall zu verraten, belastete das Problem ihr Gewissen doch sehr schwer. Es wäre ihr eine ungeheure Erleichterung gewesen, sich Pam oder John Horton anvertrauen zu können, denn Pippa war von Natur nicht dazu geschaffen, dunkle Geheimnisse lange bewahren zu können.
Sie schlich matt und teilnahmslos durch die herrlichen Herbsttage, und Pam beobachtete sie bekümmert.
»Wie wär’s denn, wenn du mal in Urlaub fahren und mich als Vertretung hierlassen würdest? Die Leihbücherei läuft doch jetzt ganz von allein, und es besteht keine Gefahr, daß ich etwas verderbe. Du hast dich jetzt vier Monate abgerackert.«
Pippa war ehrlich erschrocken über diese Idee.
»Ich kann doch unmöglich weggehen. Dies ist mein Zuhause, und wohin sollte ich auch? Außerdem, Mohr allein lassen? Du könntest Amanda
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