Es war einmal ein Mord: Ein Hänsel und Gretel-Krimi (German Edition)
bei mir abladen. Hör auf, um den heißen Brei herumzuschleichen, und erzähl mir alles, was du über die Katzen, den Troll und den Riesen weißt.«
Bei dem Wort »Riese« ließ Roland den Stock fallen, der im Feuer landete und sogleich von den Flammen verzehrt wurde. Fasziniert sah er zu. Er starrte auch dann noch darauf, als er Gretel endlich alles erzählte, was es zu erzählen gab.
»Vor vielen Jahren, als ich gerade neunzehn war, bin ich mit meinem Vater nach Bad am See gereist, um einen Wagen zur Reparatur abzuholen. Es war Markttag. Ich hatte ein wenig Zeit übrig, also habe ich mir die Stände angesehen. Dabei lernte ich ein Mädel kennen, in das ich mich verliebte. Ich wusste in dem Moment, als ich sie sah, dass ich nie eine andere lieben würde.«
»Johanna?«, fragte Gretel.
»Ja, aber …«
»Vergiss es. Tut mir leid, dass ich dich unterbrochen habe. Bitte, sprich weiter.«
»Johanna. So süß und lieb, wie man sich ein Madel nur wünschen kann. Sie wohnte damals bei ihrer Mutter und ihrem Bruder Jakob. Du hast gewiss von ihm gehört.«
»Der junge Jakob und seine magischen Bohnen. Der Jakob, der in das Schloss des Riesen geklettert ist und die Gans gestohlen hat, die goldene Eier legt.«
»Genau der. Und dank dieser Gans durfte sich die Familie jahrelang eines angenehmen Lebens erfreuen. Aber wie alles andere fand auch ihr Glück irgendwann ein Ende. Der Vogel war in der Dämmerung draußen und hat die sommerliche Luftgenossen, als ein Fuchs vorbeikam, und … nun ja, den Rest kannst du dir denken.«
Gretel nickte.
»Für die Familie war es ein schwerer Schlag. Sie hatte nur noch ein goldenes Ei übrig. Johanna wollte, dass sie sich ein Feld kauften, ein oder zwei Kühe und wieder als einfache Bauern lebten, aber Jakob hatte Abenteuerluft geschnuppert. Ihm hat das nicht gereicht. Er hat beschlossen, dass sie weiterziehen sollten.«
»Ja, ich weiß noch, dass er die Gegend verlassen hat.«
»Er und seine Mutter sind nach Spanien gereist. Dort wollte er ein Nobelrestaurant eröffnen in der Hoffnung, sie könnten den Rest ihres Lebens im Sonnenschein verbringen.«
»Und, haben sie?«
Roland schüttelte den Kopf. »Als sie versucht haben, die Pyrenäen zu überqueren, wurden sie von Räubern überfallen. Beide wurden ermordet.«
»Gott sei Dank war Johanna nicht dabei. Ich nehme an, dafür kann sie sich bei dir bedanken.«
»Sie ist wegen mir geblieben, ja. Aber ich glaube nicht, dass sie mir jetzt noch danken würde.«
»Aber ihr wart jung und verliebt, und du bist der Sohn eines erfolgreichen Stellmachers. Warum hast du das Madel nicht geheiratet und zu deiner Familie nach Hause gebracht?«
»Das hatten wir vor. Johanna und ich haben lange darüber gesprochen. Sie wollte den Sommer über in Bad am See bleiben und dann nach Gesternstadt kommen, wo wir heiraten würden, sobald sie Nachricht von ihrer Familie hätte und sicher wäre, dass sie sich in ihrem neuen Leben eingerichtet hatten.«
»Aber leider ist diese Nachricht nie eingetroffen.«
»Es war unerträglich, ihre Trauer mitanzusehen. Und dann, als müsste sie nicht schon genug leiden …«
»Was?«
»Es war zu der Zeit, als die Zockerei meines Vaters unser aller Leben nach und nach zerstört hat. Meine Mutter wurde vor lauter Sorge bettlägerig, und wir mussten sie noch vor Weihnachten zu Grabe tragen. Nichts, was wir getan haben, konnte Vater aufhalten. Er hat sich Geld geliehen, von schlimmen Menschen.«
»Menschen namens Müller vielleicht?«
»Unter anderem.« Roland nickte. »Es sah aus, als würden wir alles verlieren. Und ich konnte meinen Vater und meinen jüngeren Bruder nicht im Stich lassen. So gern ich meine Familie aufgegeben hätte und zu Johanna gegangen wäre, ich konnte es nicht. Da ist sie auf eine Idee gekommen. Eine Idee, die gefährlich erschien, aber auch recht einfach. Johanna wusste, dass der Riese nicht oben war, als Jakob die Bohnenstange abgeschnitten hatte, sondern unten. Gestrandet. Gezwungen, sich eine neue Existenz auf der Erde zu erkämpfen. Und das hat er mit Erfolg getan. Er ist nach Osten gereist – wohin, weiß ich nicht – und hat seine brutale Kraft an jeden verkauft, der bereit war, den Preis zu zahlen. Habgierige Menschen erkannten seinen Wert. Abenteurer. Generäle. Sogar Prinzen. Er ist mit einem Vermögen zurückgekommen. Und weil er eine unbezwingbare Burg für seine Beute wollte, baute er sie in …«
»… in eine Höhle.«
»In die luxuriöseste Höhle, die
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