Es war einmal ein Mord: Ein Hänsel und Gretel-Krimi (German Edition)
Mal.«
»Hat sie dir Geld gegeben?«
Eine ganze Minute lang brachte Roland es nicht über sich, etwas zu sagen. Als er es dann tat, sah Gretel, wie sich der flackernde Schein des ersterbenden Feuers in einer Träne auf seiner Wange spiegelte. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich mich dabei gefühlt habe.«
Schweigend saßen sie beisammen. Roland verlor sich in seinen persönlichen Qualen, und Gretel war damit beschäftigt, all die neuen Puzzleteile an ihren Platz zu rücken und zu beobachten, wie sich vor ihrem geistigen Auge ein klares, wenn auch unschönes Bild entwickelte. Zumindest ergaben die Dinge nun allmählich einen Sinn. Aber natürlich gab es immernoch unbeantwortete Fragen. Nicht zuletzt in Bezug auf die drei Toten. Aber ihr war bewusst, dass Roland kurz vor dem Zusammenbruch stand, also wollte sie nicht weiter in ihn dringen. Es gab Wichtigeres zu tun. Morgen.
Sie erhob sich. Ihre Knie krachten, als sie die Beine durchstreckte.
»Roland«, sagte sie, »ich glaube fest daran, dass man jede Situation durch eigene Aktivität verbessern kann, also müssen wir handeln. Es ist spät. Wir werden uns und dem Pferd heute Nacht Ruhe gönnen. Bei Tagesanbruch reisen wir weiter nach Osten.«
»Zum Schloss des Riesen?«
»Allerdings. Wie es scheint, haben wir dort beide etwas zu erledigen«, sagte sie, ehe sie einen Haufen warmen Heus aufschüttelte und sich hineinfallen ließ. Sie zog das Cape über sich und ließ sich von der Erschöpfung davontragen in einen tiefen Schlaf voller Träume.
10
D as scharfe, schauerliche Gebell eines Fuchsrüden weckte Gretel noch vor Tagesanbruch. Sie setzte sich auf und überlegte einen Moment, wie um alles in der Welt sie zusammen mit einem fremden jungen Mann in einer Scheune gelandet sein mochte. Als ihr die Ereignisse des Vortages wieder in Erinnerung kamen, verlagerte sie ihr Gewicht in dem Bett aus Heu, und ihr zerschlagener, schmerzender Körper beklagte sich bei den kleinsten Anforderungen. Die Aussicht auf eine Zweitagesreise in dem lebensgefährlichen Gig trug auch nicht gerade dazu bei, ihre Stimmung zu verbessern. Hinzu kam, dass sie über die Fahrt nach Osten hinaus bisher keinen vernünftigen Plan vorzuweisen hatte.
Was dann? Sie würde vor einem unzugänglichen Schloss in einer Höhle stehen, bewohnt von einem liebeskranken Riesen. Sollte sie einfach an die Tür klopfen, sich vorstellen und die Herausgabe von Frau Hapsburgs Katzen verlangen? Bisher wusste sie nicht einmal, wofür der Riese die Tiere brauchte. Rolands Reaktion legte nahe, dass die Antwort auf diese Frage nicht eben erfreulich sein würde. Und da waren noch so viele andere Dinge, die sich derzeit in einen Nebel der Rätselhaftigkeit hüllten. Wenn Müller Herrn Hund Geld geliehen und ihn dann bedroht hatte, hatte Hund den Mann dann getötet? Oder vielleicht Roland?
Gretel blickte zu der Stelle hinüber, an der Roland schlief. Es war schwer vorstellbar, dass er zu solch einer Tat fähig sein sollte. Andererseits befand er sich in einer verzweifelten Lage.Und was war mit Peterson-Müller? War derselbe Mörder auch für sein unerfreuliches Ende verantwortlich?
Roland regte sich im Schlaf und murmelte kläglich Johannas Namen. Nein, er war es gewiss nicht. Und dann war da noch der Mord an Bechstein, den es zu enträtseln galt. Gretel erinnerte sich, dass er an dem Abend, als sie ihm im Eingang des Bad-Hotels begegnet war, verängstigt gewirkt hatte. Offensichtlich hatte er gewusst, dass sein Leben in Gefahr war. Und die Petersons waren in der Stadt gewesen. Aber Roland ebenfalls. Nein, es musste eine andere Erklärung geben.
Gretel erhob sich, schlug sich den Staub aus den Kleidern und fuhr sich mit den Fingern durch das schlammverkrustete Haar. Nur gut, dass es keinen Spiegel gab. Sie fürchtete, ihr Erscheinungsbild würde genügen, sie in Panik zu versetzen. Sie steckte die verbliebenen Haarnadeln wieder in dem Durcheinander fest und verspeiste die letzten Soleier. Die Geräusche, die sie mit ihren Aktivitäten verbreitete, weckten schließlich Roland aus seinem unruhigen Schlaf.
»Dämmert es schon?«, fragte er und rieb sich die Augen.
»Noch nicht, aber der Himmel hat ein bisschen aufgeklart. Ich glaube, es ist das Beste, wenn wir sofort loslegen.«
»Das ist eine lange Reise. Bist du sicher, dass du sie antreten willst?«
»Ich habe keine Wahl. Ein Fall will gelöst werden, und es gibt einige Dinge, die ich nachweisen oder entkräften muss, wenn mein Bruder und ich unsere
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