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Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte

Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte

Titel: Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Petruschewskaja
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jetzt die Seele des unglücklichen Vaters hauste, der vieles beherrschte, zum Beispiel fünf Sprachen). Erschlag mich, bitte, heulte Grischa, und da brachten sie ihn weg und gaben ihm eine Beruhigungsspritze.
    Der schwarze Onkel Tom fiel aus allen Wolken und stieß in seiner Phantasiewelt des gerechten Rassenkampfs auf einen Weißen, der zu sterben verlangte. Er überlegte, ob er seinen Racheakt überhaupt noch ein elftes Mal an einem Weißen ausüben sollte, und ging los, um herauszukriegen, was mit dem armen weißen Stinker los sei, der sich am Ende als dreckiger Russe erwies, der seiner Meinung nach weit unter jedem Ureinwohner stand, ganz zu schweigen von Onkel Tom selbst, einem Aristokraten und Bürger der Vereinigten Staaten!
    Da begann Onkel Tom den Russen unter seine Fittiche zu nehmen, brachte ihm bei, auf dem Bildschirm die Hauptfeinde der Demokratie auszumachen – die Senatoren und den Präsidenten, und noch eine dicke alte Oma in kurzem schiefsitzenden Rock, der ewig hochrutschte. Onkel Tom erzählte Grischa viel, seinen weisen Kopf hin und her wiegend und mit seinen dünnen Fingern gestikulierend, und Grischa hörte nicht auf zu weinen.
    Er wusste nicht, dass er Sohn und Frau beweinte, die er auf der Straße, nicht weit vom Sammelpunkt der Rekruten neben seinem Leichnam kniend zurückgelassen hatte. Er wusste nicht, dass sie den Jungen gar nicht eingezogen hatten, die Frau versteckte ihn und wimmerte. Das heißt, sie wimmerte neben dem Leichnam und hatte dem Sohn längst zugeflüstert: »Lauf zu Tante Walja nach Udelnaja«, und der Sohn hatte die Beine unter den Arm genommen und war noch vor Eintreffen des Notarztes auf und davon.
    Grischa quälte sich, schluchzte, war sich selbst ganz fremd, und plötzlich entdeckte er am Hals ein winziges Loch, aus dem Tränen flossen, als sei es noch ein zusätzliches Auge. Er hatte seltsame Träume, irgendein wolkenloses Glück, eine Liebe, die ihn umhüllte, ihn wiegte, beruhigte.
    Von den Spritzen trübte sich sein Bewusstsein, er erstarrte und hörte auf zu weinen, doch das Auge am Hals tränte.
    Mit der Zeit aber ging der Schock vorüber, und Grischa sollte entlassen werden. Onkel Tom war in einen anderen Trakt der Klinik überführt worden, wo er sich einen kleinen schwarz-weißen Kater aussuchte, den er beschützen konnte und von dem er sich nicht mehr trennte, noch eine unterdrückte Rasse, in Amerika war kein Platz für streunende Kater. Der Kater war wie vom Himmel gefallen, Tom hatte ihn aufgelesen und kam zu Grischa, um Abschied zu nehmen, und zeigte ihm seinen Schatz auf dem Arm.
    Grischa aber hatte ein Kellerzimmer bei einer Russin gemietet, einen Raum mit Toilette, aber ohne Dusche. Dorthin kam eines Tages die Kusine der russischen Vermieterin zu Besuch, eine schwermütige grauhaarige Frau. Grischa sah sie im Vorübergehen, als er in seinen kleinen Keller hinunterstieg, er sah sie im Vorgarten sitzen. Sie trank Tee. In ihrem Auge tanzte ein Sonnenstrahl, den der Teelöffel spiegelte, mit dem sie unentwegt in der Tasse rührte. Ihr Gesicht sah traurig und verloren aus.
    Die Frau rührte gedankenlos in der Tasse, und der Lichttupfen blinkte auf ihrem roten Näschen und in ihrem blauen Auge, das wie ein beseelter Edelstein schillerte.
    In diesem Augenblick kam es zu einem doppelten Zeichen, zwei Seelen begegneten einander und erkannten sich nicht.
    Fünf Minuten später rannte Grischa plötzlich nach oben und setzte sich der Frau gegenüber. Die Vermieterin war nicht mehr da, sie war zur Universität gegangen, an der sie unterrichtete. Die Frau trank keinen einzigen Schluck und hob auch nicht den Blick. Grischa schloss sie in sein verlassenes Herz, heiratete sie, fuhr mit ihr nach Moskau und lernte dort ihren schwermütigen, blassen, lockigen Sohn kennen.
    Als Grischa diesem Aljoscha Guten Tag sagte, trat eine Träne in das dritte unsichtbare Auge am Hals und rann heraus, die bittere, kleine Träne des toten Vaters. Aljoscha war nicht eingezogen worden, und zwar wegen seines toten Vaters, so erzählte es Grischas neue Frau. Der Sohn war nun ihr Ernährer, und das Gesetz gestattet es in solchen Fällen (immerhin gibt es Nachsicht mit alten Menschen), sich vom Armeedienst befreien zu lassen. Obwohl sie im Militärkommissariat rumgeschrien und darauf bestanden hatten, Aljoscha solle erst einmal in die Armee gehen, später würden sie ihn

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