Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte

Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte

Titel: Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Petruschewskaja
Vom Netzwerk:
ich bin los, und dann habe ich doch beschlossen, zurück zu gehen, damit sie mich registrieren.«
    Â»Unglaublich«, antwortete der Weißkittel.
    Sie kamen zur Pathologie, und der Arzthelfer dort empfing sie mit Flüchen. Der Vater hörte sich das alles an und sagte:
    Â»Meine Tochter ist auch hier, sie muss nach der Operation hierhergebracht worden sein.«
    Er nannte ihren Namen.
    Â»Sie ist nicht hier, hier nicht! Da haben mir heute Morgen schon welche einen Knoten ins Gehirn geplappert! So eine gibt’s hier nicht! Die haben uns hier völlig wahnsinnig gemacht! Und jetzt noch dieser Verrückte! Bist wohl aus der Klapsmühle ausgerissen, was? Wo kommt er her?«
    Â»Er ist im Gang umhergeirrt«, antwortete der Weißkittel.
    Â»Ruf bloß die Wache«, sagte der Arzthelfer und fluchte erneut.
    Â»Lassen Sie mich zu Hause anrufen«, bat der Vater. »Jetzt weiß ich’s wieder, ich habe auf der Intensivstation gelegen, im zweiten Stock. Ich habe mein Gedächtnis verloren, ich bin nach der Explosion auf der Warschauer Straße hierhergekommen.«
    Da wurden die beiden still. Die Explosion auf der Warschauer war am Tag zuvor passiert. Sie führten den zitternden, barfüßigen Mann zu einem Tisch, auf dem ein Telefon stand.
    Die Frau nahm den Hörer ab und heulte sofort los:
    Â»Du! Du! Wo treibst du dich rum! Ihr Leichnam wurde weggeschafft, wir wissen nicht, wo sie ist! Und du treibst dich rum! Und keine Kopeke im Haus! Wir konnten nicht mal das Taxi bezahlen! Hast wohl alles du genommen, was?«
    Â»Ich, ich war bewusstlos und bin ins Krankenhaus gekommen, auf die Intensivstation …«
    Â»Wo, in welches?«
    Â»In dasselbe wie sie …«
    Â»Aber wo ist sie? Wo?«, heulte die Frau.
    Â»Ich weiß nicht, ich weiß es selber nicht. Ich bin völlig nackt, bring mir was mit. Ich stehe barfuß in der Leichenhalle. Welches Krankenhaus ist das hier?«
    Â»Wie bist du bloß dorthin geraten, ich verstehe überhaupt nichts mehr«, heulte die Frau wieder.
    Er reichte den Hörer an den Weißkittel weiter. Der teilte der Frau seelenruhig, als ob ihn das alles nicht juckte, die Adresse des Krankenhauses mit und legte auf.
    Der Arzthelfer brachte dem Vater einen Kittel und irgendwelche ausgeleierten Filzlatschen, offenbar hatte er Mitleid mit diesem seltsamen Menschen bekommen, und er schickte ihn zur Pforte am Eingang.
    Dorthin kamen seine Frau und die Schwiegermutter mit gleichermaßen aufgequollenen Gesichtern. Sie zogen ihm Kleider und Schuhe an, umarmten ihn, hörten sich glücklich weinend an, was er ihnen zu erzählen hatte, und dann setzten sie sich ins Wartezimmer, denn man hatte ihnen gesagt, dass ihr Mädchen operiert worden und außer Lebensgefahr sei und jetzt auf der Intensivstation liege.
    Zwei Wochen später konnte sie schon wieder aufstehen. Der Vater führte sie auf dem Gang der Station spazieren und wiederholte immer wieder, dass sie nach der Explosion noch gelebt hätte, das sei einfach ein Schock gewesen, ein Schock. Niemand hätte das gemerkt, aber er hätte es gleich gewusst.
    Allerdings sagte er nichts über das rohe Menschenherz, das er essen musste, damit sie es nicht bekam. Aber das war ja im Traum gewesen, und was im Traum ist, zählt nicht.

#
    Der Schatten des Lebens
    Inzwischen ist sie eine völlig erwachsene, verheiratete Frau, doch damals wuchs sie als Waisenkind bei der Großmutter auf, die Großmutter hatte sie zu sich genommen, als die Mutter eines Tages verschwunden war, es gibt solche Fälle, wo ein Mensch einfach verschwindet. Der Vater war schon früher verschwunden, als das Mädchen fünf Jahre alt war, zur Beerdigung hatte man es nicht mitgenommen, und es dachte: Er ist fort, und hatte große Angst um die Mutter, klammerte sich buchstäblich an sie, wenn sie abends wegging, es weinte nicht – das durfte es nicht, es war von der Mutter nicht verwöhnt, es war ein stilles und bescheidenes Kind, doch eines Tages verschwand die Mutter tatsächlich, und das Mädchen blieb mit seinen neun Jahren nachts allein und deckte sich mit dem Bademantel der Mutter zu, am nächsten Morgen wusch es sich und ging, wie es war, im selben Kleid zur Schule. Die Nachbarn in der Gemeinschaftswohnung merkten nach zwei Tagen, dass etwas nicht stimmte, das Mädchen ging nicht mehr zur Schule, aus seinem Zimmer drangen merkwürdige Laute, als lache da jemand, und in

Weitere Kostenlose Bücher