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Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte

Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte

Titel: Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Petruschewskaja
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Tochter war nicht da. Leise ging er sie suchen, sah in alle Winkel, fand aber keine Menschenseele. Da setzte er sich auf ein kleines Sofa, und dann legte er sich hin. Ihm war wohl zumute, als ob seine Tochter schon irgendwo einen Platz gefunden hätte und glücklich und zufrieden lebte, und er sich nun ausruhen könnte. Er begann (im Traum) einzuschlafen, da erschien auf einmal die Tochter, wie ein Taifun kam sie ins Zimmer gefegt, heulte auf, brachte ringsum alles zum Zittern, krallte ihre Fingernägel in den Ellenbogen seines rechten Arms, bis unter die Haut. Er fühlte einen schmerzhaften Stich, schrie vor Schreck auf und öffnete die Augen. Der Arzt hatte ihm gerade eine Spritze in die Vene des rechten Arms gejagt.
    Seine Tochter lag neben ihm, atmete schwer, aber röchelte nicht mehr. Er stützte sich auf den Ellenbogen, sah, dass sein linker Arm nicht mehr abgeschnürt und jetzt verbunden war, und wandte sich an den Arzt:
    Â»Doktor, ich muss dringend telefonieren.«
    Â»Warum«, fragte der Arzt, »noch gibt es keinen Grund zum Telefonieren. Legen Sie sich hin, sonst gehen auch Sie noch … flöten.«
    Aber bevor er ging, gab er dem Vater doch noch sein Handy, und der Vater rief zu Hause bei seiner Frau an, aber es war niemand da. Frau und Schwiegermutter waren wahrscheinlich früh am Morgen zur Leichenhalle gefahren, litten nun Höllenqualen und begriffen nicht, wo der Leichnam der Tochter hingekommen war.
    Dem Mädchen ging es schon besser, aber sie war noch nicht bei Bewusstsein. Der Vater wollte unbedingt bei ihr auf der Intensivstation bleiben und tat deshalb so, als sterbe er. Der Nachtarzt war bereits weg, mehr Geld besaß der unglückliche Vater nicht, aber man machte noch ein EKG und ließ ihn liegen, offenbar hatte der Nachtarzt irgendwas ausgemacht oder es stimmte wirklich etwas nicht mit seinem Herz.
    Der Vater überlegte, was er tun solle – runtergehen konnte er nicht, telefonieren erlaubten sie ihm nicht, er kannte niemanden auf der Station, alle waren beschäftigt. Was mochten seine beiden Frauen jetzt empfinden, seine »Mädchen«, wie er sie nannte – die Frau und die Schwiegermutter. Sein Herz tat weh. Er wurde an einen Tropf gehängt, wie seine Tochter.
    Dann schlief er ein, und als er erwachte, lag seine Tochter nicht mehr neben ihm.
    Â»Schwester, wo ist das Mädchen, das hier lag?«
    Â»Warum wollen Sie das wissen?«
    Â»Ich bin immerhin ihr Vater. Wo ist sie?«
    Â»Sie wurde in den Operationssaal gebracht, regen Sie sich nicht auf und bleiben Sie liegen. Sie dürfen nicht aufstehen.«
    Â»Was ist mit ihr?«
    Â»Weiß ich nicht.«
    Â»Liebes Fräulein, rufen Sie den Doktor!«
    Â»Die haben alle zu tun.«
    Nebenan stöhnte ein alter Mann, und jemand, wahrscheinlich der Arzt, machte irgendwelche Sachen mit einer alten Frau und redete auf sie ein wie auf eine Dorftrine, laut und lachend:
    Â»Na, Omchen, willst du Suppe?« Pause. »Was für Suppe willst du denn?«
    Â»Mm«, sagte die Alte mit blecherner Stimme.
    Â»Willst du Möhrchensuppe?« Pause. »Mit Möhrchen, willst du? Hast du schon mal Suppe mit Möhrchen gegessen?«
    Da antwortete die Alte:
    Â»Möhrchen … mit Öhrchen.«
    Â»Du kannst es!«, rief der Arzt.
    Der Vater lag im Bett und regte sich auf. Da wurde sein Mädchen irgendwo operiert, da saß irgendwo seine vor Leid fast verrückt gewordene Frau, daneben die zitternde Schwiegermutter, und er … Der junge Arzt untersuchte ihn, wieder gaben sie ihm eine Spritze, und er fiel in tiefen Schlaf.
    Am Abend stand er leise auf und ging so, wie er war, barfuß und im Krankenhaushemd, aus dem Zimmer. Er schaffte es unbemerkt bis zur Treppe und ging die kalten Stufen nach unten, wie ein Gespenst. Er stieg zum Keller hinunter, orientierte sich an dem Pfeil, auf dem »Pathologie« stand.
    Da rief ein Typ im weißen Kittel:
    Â»Hallo, was machen Sie hier?«
    Â»Ich komme aus der Leichenhalle«, entgegnete der Vater, »ich habe mich verirrt.«
    Â»Was heißt, aus der Leichenhalle?«
    Â»Ich bin raus, aber meine Papiere sind drin geblieben. Ich möchte zurück, aber die Leichenhalle ist verschwunden.«
    Â»Ich verstehe gar nichts«, sagte der weiße Kittel, hakte ihn unter und führte ihn den Gang entlang.
    Dann fragte er:
    Â»Sie sind auferstanden?«
    Â»Ich bin wieder lebendig geworden, niemand war da,

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