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Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte

Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte

Titel: Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Petruschewskaja
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nichts Wichtigeres als einen interessanten Fall, als einen Patienten an der Schwelle des Todes, egal, um wen es sich handelte.
    Der Vater schlief, und im Traum begegnete er seiner Tochter. Das heißt, er fuhr sie besuchen, so wie er früher zu ihr ins Sommerlager vor die Stadt gefahren war. Er packte etwas zu essen ein, aus unerfindlichen Gründen nur ein Sandwich mit Bulette, mehr nicht. Er stieg an einem wundervollen Sommerabend in den Bus, irgendwo in der Gegend der Metrostation Sokol, und fuhr an einen paradiesischen Ort. Auf dem Feld, mitten zwischen weichen grünen Hügeln, stand ein riesiges graues Haus mit Torbögen so hoch wie der Himmel, und als er diese gigantischen Torbögen durchschritten hatte und den Hof betrat, da schoss dort, auf einer smaragdgrünen Wiese, direkt aus dem Gras, ein Springbrunnen empor, ebenso hoch wie das Haus, mit einem einzigen Strahl, der sich oben in einer glitzernden Krone brach. Die Sonne ging langsam unter, und der Vater schlenderte vergnügt zum Eingang und stieg eine hohe Treppe hinauf. Die Tochter empfing ihn ein wenig verlegen, als ob er sie störe. Sie schaute zur Seite, als ob hier ihr eigenes Leben stattfinde, das mit ihm nichts mehr zu tun hatte.
    Die Wohnung war riesig, mit hohen Decken und sehr breiten Fenstern, die nach Süden hinaus gingen, in den Schatten, zum Springbrunnen, den die untergehende Sonne von der Seite beleuchtete. Der Springbrunnen schoss noch über die Fenster hinaus.
    Â»Ich habe dir ein Sandwich mit Bulette mitgebracht, wie du es gernhast«, sagte der Vater.
    Er trat zu dem kleinen Tisch am Fenster, legte das Paket darauf, überlegte und packte das Sandwich aus. Es war ein merkwürdiges Sandwich, zwei Scheiben billiges Schwarzbrot. Um der Tochter zu zeigen, dass es mit einer Bulette belegt war, klappte er die Scheiben auseinander. In der Mitte lag (das sah er sofort) ein rohes Menschenherz. Der Vater war beunruhigt, dass das Herz nicht gekocht war, dass man das Sandwich nicht essen konnte, wickelte es wieder ein und sagte verstört:
    Â»Ich habe das Sandwich verwechselt, ich bringe dir ein anderes.«
    Die Tochter aber trat näher und betrachtete es mit komischem Gesichtsausdruck. Da steckte der Vater das Paket in die Jackentasche und legte schützend die Hand darauf, damit die Tochter es ihm nicht wegnehmen konnte.
    Sie stand neben ihm, den Kopf gesenkt, mit ausgestreckter Hand:
    Â»Gib es mir, Papa, ich habe Hunger, ich habe großen Hunger.«
    Â»Du sollst dieses scheußliche Zeug nicht essen.«
    Â»Gib her«, sagte sie traurig.
    Sie streckte ihre geschmeidige Hand nach seiner Tasche aus, aber der Vater wusste, wenn sie das Sandwich essen sollte, würde sie sterben.
    Also wandte er sich um, holte das Paket aus der Tasche, packte das Sandwich aus und begann das rohe Herz schnell selbst zu essen. Augenblicklich füllte sich sein Mund mit Blut.
    Jetzt sterbe ich, dachte er, wie gut, dass ich früher gehe als sie.
    Â»Können Sie mich hören, machen Sie die Augen auf!«, sagte jemand.
    Mit Mühe bekam er die Lider auseinander und erblickte wie im Nebel das verschwommene Gesicht des Arztes.
    Â»Ich höre Sie«, antwortete er.
    Â»Welche Blutgruppe haben Sie?«
    Â»Die gleiche wie meine Tochter.«
    Â»Sind Sie sicher?«
    Â»Ja, ganz sicher.«
    Sogleich wurde er irgendwohin gefahren, sein linker Arm wurde mit einem Riemen abgeschnürt, in die Vene wurde eine Nadel eingeführt.
    Â»Was ist mit ihr?«, fragte der Vater.
    Â»Was meinen Sie?«, fragte der Arzt, ganz in seine Arbeit vertieft.
    Â»Lebt sie?«
    Â»Was denken Sie denn!«, entgegnete der Arzt wie nebenbei.
    Â»Sie lebt?!«
    Â»Bleiben Sie liegen, bleiben Sie liegen«, rief er.
    Der Vater lag da und hörte, wie neben ihm jemand röchelte, und er weinte.
    Dann hantierten sie an ihm herum, und er versank wieder im Nichts, wieder war es überall grün, aber da weckte ihn ein Geräusch: die Tochter, die auf dem Nachbarbett lag, röchelte so laut, als ob sie nach Luft ringe. Er betrachtete sie von der Seite. Ihr Gesicht war weiß, der Mund halb geöffnet. Blut lief in einem Schlauch aus seinem Arm in ihren. Ihm war ganz leicht zumute, er versuchte geradezu, sein Blut anzutreiben, er wollte, dass es ganz und gar in den Körper seiner Tochter flösse. Er wollte sterben, damit sie am Leben blieb.
    Dann war er plötzlich wieder in der Wohnung, in dem riesigen grauen Haus. Seine

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