Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte
der Küche wurde nichts gekocht, niemand kam heraus, auch nicht die Mutter der kleinen Schenja. Die Nachbarin zwang dem Kind das Geständnis ab, dass es zwei Tage nichts gegessen habe und die Mutter nicht da sei. Alle liefen zusammen, sie schickten der GroÃmutter ein Telegramm, und die GroÃmutter holte ihre Enkeltochter mitten im Winter aus der kleinen Stadt an der Oka und nahm sie zu sich in den kleinen Badeort am Asowschen Meer.
Der Weg war Schenja vertraut, sie fuhr jedes Mal in den Ferien zur GroÃmutter, doch diesmal waren keine Ferien in Sicht, sondern nur ein langes Warten. Von der Mutter wurde nichts gefunden, keine Spur. Die Mutter, so sagte die GroÃmutter, habe ihr ganzes Leben für die Wahrheit gestritten und niemals gestohlen, doch um sie herum hätten alle gestohlen, sie arbeitete in einem Kindergarten. Die Mutter, meinte die GroÃmutter, sei bestimmt nach Moskau gefahren, um für die Wahrheit zu streiten (vor ihrem Verschwinden hatte sie ihre Arbeit verloren), wahrscheinlich werde sie im Irrenhaus festgehalten; so was käme vor, sagte die GroÃmutter.
Schenja wuchs zu einem stillen, sympathischen Mädchen heran, sie begann in einer anderen Stadt ein Studium am Pädagogischen Institut, lernte fleiÃig und wurde in ihrem Studentenwohnheim dafür geschätzt, dass sie jedes Päckchen der GroÃmutter mit Gemüse, Speck und Trockenobst auf den Tisch stellte und allen etwas abgab, und anschlieÃend brachen die mageren Tage an, aber für alle gleichzeitig. So anspruchslos wie Schenja bei ihrer Mutter und GroÃmutter aufgewachsen war, lebte sie jetzt auch in ihrem Studentenheim.
Sie hatte einen jungen Verehrer, einen Bauarbeiter, sogar Brigadier auf der Baustelle, der mit ihr im Frühling mit der Vorortbahn in den Wald fuhr und ihr seine selbstverfassten Gedichte vortrug, aber leider war er verheiratet, wie sich herausstellte.
Seine Frau erfuhr eines Tages von Schenja, sie suchte sie im Wohnheim auf, ging mit ihr auf die StraÃe und erklärte ihr, Sascha sei verheiratet, habe zwei Kinder, und sie persönlich schlafe im Moment nicht mit ihm, weil er eine Geschlechtskrankheit habe, er müsse sich behandeln lassen, und sie selbst müsse sich seinetwegen auch behandeln lassen, es frage sich nur, wo er sich das geholt habe, sagte diese Frau und schaute Schenja hasserfüllt an. Sie saÃen in der Grünanlage. »Und dich«, fügte Saschas Gattin hinzu, »müsste man ohne viel Federlesens umbringen, weil du eine ansteckende Krankheit verbreitest.«
Die arme Studentin hatte niemanden, den sie um Rat fragen konnte, sie hatte Angst, in die Poliklinik zu gehen (da würden es gleich alle erfahren), aber zum Glück fand sie, als sie einmal in der Nähe des Marktes herumlief, einen Aushang: »Geschlechtskrankheiten«. Sie wurde von einer alten Ãrztin empfangen. Sie sollte bezahlen, ohne Geld wollte die Ãrztin sie nicht einmal anhören. Schenja nahm die Ohrringe der Mutter ab, das einzige Erinnerungsstück. Die Ãrztin steckte die Ohrringe ein, untersuchte das Mädchen und sagte, man müsse die Laborergebnisse abwarten. Die Werte waren gut. Schenja hatte sich zum Glück nicht angesteckt, oder Saschas Frau hatte gelogen. Doch Sascha tauchte nicht mehr am Horizont auf, und Schenja begriff, dass alles nicht so einfach ist unter den Menschen und dass es eine geheimnisvolle, zählebige, animalische Seite des Lebens gibt, und genau dort wucherten die abstoÃenden, abscheulichen Dinge, und ob man ihre Mutter nicht überhaupt umgebracht hatte, dachte die erwachsene Schenja (achtzehn Jahre), denn ihre Mutter war noch jung gewesen und konnte in jenen Schatten des Lebens geraten sein, wo so viele Menschen umkommen.
Das erschien Schenja um so wahrscheinlicher, als ihr im Sommer, sie war damals wieder bei der GroÃmutter zu Besuch, ein Unglück widerfuhr. In diesem Sommer hatte man auf einer Müllkippe vor der Stadt zwei Frauenleichen gefunden, zerstückelt, verstümmelt, ohne Kopf, die Arme auf den Rücken gedreht wie ausgewrungene Lappen. Das Städtchen brodelte. Offenbar waren es zwei Kurgäste oder Touristinnen, die umgebracht worden waren, denn die Einheimischen waren vollzählig.
Schenja kehrte nicht allzu spät am Abend von einer Freundin heim, und in der Nähe ihres Hauses wurde sie von zwei Seiten gepackt. Das waren Halbwüchsige, sechzehn, siebzehn Jahre, sie waren zu dritt,
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