Es war einmal in New York / Nie wieder sollst du lieben
ebenfalls eine Kerze und Streichhölzer in ihrer Tasche, doch sie wartete ab, bis die andere Frau den Docht angezündet hatte. Gwens Hände zitterten jedoch so heftig, dass sie ihr die Kerze abnehmen und selbst anzünden musste. Der Schein der Flamme spendete in dem düsteren, schmutzigen Eingang nur wenig Licht. Jemand hatte einen gesprungenen Spiegel aufgehängt, wohl um damit – vergebens – die sich ablösende Tapete zu verdecken. „Geh schon mal vor, Bridget“, sagte sie in einem bemüht freundlichen Tonfall, währendihr eine Gänsehaut über den Rücken lief. Besorgt sah sie sich in dem dunklen Treppenhaus um.
Hintereinander stiegen sie die Treppe nach oben, deren Stufen bei jedem Schritt knarrten. Gwen und ihre Tochter wohnten im ersten Stock, so wie auch Margaret Cooper. Als sie deren Wohnung passierten, bemerkte Francesca das Vorhängeschloss an der Tür. Die Polizei hatte ihre Arbeit fürs Erste getan, das Schild, das jeden Unbefugten vom Betreten abhalten sollte, war an die Tür genagelt worden. Der Fotograf war am Nachmittag in die Wohnung gekommen, als sie und Bragg soeben hatten gehen wollen. Es war seine Idee gewesen, Opfer und Tatort fotografieren zu lassen, um auch dann noch Dinge überprüfen zu können, wenn dort längst wieder Ordnung geschaffen war. Die Idee war simpel und doch genial.
Gwen schloss auf, aber ihre Hände zitterten immer noch. Sobald sie die Wohnung betreten hatten, sagte sie mit angespannter Stimme: „Bridget, mach noch eine Kerze an.“ Dann verriegelte sie die Tür hinter sich.
Francesca fragte sich, wie lange Gwen weiter in solcher Angst leben sollte. Sie beobachtete die Frau, wie sie sich umdrehte, sich zu einem Lächeln zwang und dann die Nadeln aus ihrem Strohhut zog, um ihn absetzen zu können. Als ihr Haar bis weit über ihre Schultern fiel, stutzte Francesca. Sie wusste, Gwens Haar wies einen dunklen Rotton auf, doch ihr war nicht bewusst, dass es so lockig war und bis fast zur Taille reichte – so wie bei Margaret Cooper. Zwar sahen sich Gwen und Margaret nicht zum Verwechseln ähnlich – Margaret war auf eine sanfte Art hübsch gewesen, Gwen dagegen war eine wahre Schönheit –, aber eine gewisse Ähnlichkeit war nicht zu leugnen. Und sie wohnten praktisch Tür an Tür …
„Warum sehen Sie mich so an?“, fragte Gwen erschrocken.
„Oh, tut mir leid. Ich musste nur daran denken, dass Sie Ihre Nachbarin gefunden haben, Mrs O’Neil. Das mussschrecklich gewesen sein.“ Hinter ihr wurde eine zweite Kerze angezündet, die in dem lang gestreckten Zimmer für deutlich mehr Helligkeit sorgte.
Gwen nickte. „Ja, es war schlimm“, flüsterte sie. Sie hängte den Hut an einen Haken und legte den Wollschal darüber. Als sie sich vorbeugte, wurde Francesca klar, dass sie im Begriff war, ihre Schuhe auszuziehen. Gwen lächelte sie ein wenig verlegen an, als sie in Strümpfen vor ihr stand. „Meine Füße schmerzen“, erklärte sie leise.
Vermutlich hatte sie ihre Schuhe nicht in einem Fachgeschäft gekauft, und sie waren entweder eine Nummer zu klein oder hatten Löcher in den Sohlen. Francesca hörte, wie das Wasser ins Waschbecken lief, und musste an die Schüssel mit Wasser denken, die in Margarets Wohnung vor dem Sofa gestanden hatte. War sie von ihrem Mörder womöglich überrascht worden, als sie ebenfalls ihre wunden Füße in dem Bottich kühlen wollte?
Sie lächelte Gwen an. „Oh, nehmen Sie auf mich bitte keine Rücksicht. Sind Sie sich sicher, dass Sie verfolgt wurden?“
Einen Augenblick lang zögerte Gwen, dann ging sie zu einem kleinen Tisch, auf dem eine hellgelbe Decke lag. In der Mitte stand ein gesprungenes Glas mit einem einzelnen Gänseblümchen darin. Sie zog einen Stuhl zurück, während Bridget den Herd anmachte und einen Topf daraufstellte, um Wasser zu kochen. „Nein … das heißt, ich weiß es nicht mit Gewissheit … aber ich bin mir ganz sicher.“
Das ergab keinen Sinn. Francesca zog ihre Handschuhe aus und legte sie auf den kleinen Tisch. Bridget gab eine Karotte, eine Kartoffel und eine Zwiebel in den Kochtopf, außerdem eine Prise Salz.
„Erzählen Sie mir, wieso Sie glauben, jemand habe Sie verfolgt“, forderte sie Gwen behutsam auf.
Tränen stiegen in Gwens Augen. „Ich weiß es nicht! Alsich die Polizeiwache verließ, habe ich niemanden entdecken können. Aber ich hatte die ganze Zeit so ein Gefühl, als würde mich jemand beobachten. Ist Ihnen das noch nie passiert?“
Francesca berührte beschwichtigend ihren
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