Es war einmal in New York / Nie wieder sollst du lieben
Sofa zusammen.“
5. KAPITEL
Dienstag, 3. Juni 1902
11.00 Uhr
Im Türrahmen des kleinen Salons stand Mike O’Donnell, ein gedrungener Mann mit wettergegerbtem Gesicht und von der Sonne gebleichtem Haar. Er war kein Gentleman, wie Leigh Anne sofort bemerkte, trug er doch ein Flanellhemd und Kordhosen und die Stiefel eines Arbeiters. Neben ihm stand eine ältere Frau mit einem offenen, liebenswürdigen Gesicht; auch sie trug die graubraune Kleidung einer Arbeiterin. Katie war nicht zu dem Mann geeilt. Stattdessen stand sie angespannt und mit schreckgeweiteten Augen neben Leigh Anne. Ganz offensichtlich kannte sie den Mann.
„Warum setzen Sie sich nicht, Mr O’Donnell?“, fragte Leigh Anne einladend. Sie saß wieder im Rollstuhl. Hinter ihr stand Mr Mackenzie und wartete auf Anweisungen.
„Das tue ich gern, Ma’am“, erwiderte der Mann ehrerbietig. „Und vielen Dank, dass Sie mich und Beth die Kinder sehen lassen.“ Er setzte sich aufs Sofa und hielt seine Strickmütze zwischen den Händen.
Die korpulente ältere Frau lächelte Francesca an. „Mein Neffe hat keine Manieren, Mrs Bragg. Ich bin Beth O’Brien, seine Tante – Katies Großtante.“
Obwohl Leigh Anne vor Angst übel war, lächelte sie.
„Bitte setzen Sie sich doch, Mrs O’Brien.“ Dann blickte sie zur Tür, wo Peter stand. „Peter, bitte bringen Sie einige Erfrischungen für unsere Gäste, und bitten Sie Mrs Flowers, Dot herunterzubringen.“
Wortlos verschwand der große Mann.
Aber Beth O’Brien setzte sich nicht, sondern strahlte Katie an. „Du erinnerst dich nicht an mich, oder? Aber schließlichwarst du auch erst fünf, als ich dich das letzte Mal gesehen habe. Damals besuchte ich deine Mutter in den Weihnachtsferien.“
Katie schüttelte nur den Kopf.
„Bis letzten Monat wohnte ich in New Rochelle“, wandte sich Beth nun an Leigh Anne. In ihren warmen braunen Augen lag ein freundliches Funkeln. „Doch meine Herrin starb, und so kam ich in die Stadt, um Arbeit zu finden. Ich wollte Mike besuchen – und natürlich auch meine Nichte Mary, die Mutter der Mädchen. Ich war fassungslos, als ich erfuhr, dass sie tot ist.“ Ihr Lächeln erlosch. „Wie furchtbar für die Mädchen!“
„Ja, das war sehr tragisch“, brachte Leigh Anne heraus. Was wollten die beiden? Sicherlich sollte dies nur ein kurzer Besuch sein. „Doch mein Mann und ich kümmern uns seit einiger Zeit um die Kinder. Sie haben alles, was sie brauchen, Katie geht zur Schule, und beide sind sehr glücklich.“ Sie sah Katie an und bemühte sich verzweifelt, die Fassung zu bewahren. „Stimmt’s, Darling?“
Nickend griff Katie nach Leigh Annes Hand und hielt sie fest umklammert.
„Das ist sehr großzügig von Ihnen und Ihrem Mann“, sagte Beth. „Wir sind dafür sehr dankbar, nicht wahr, Mike?“
„Sehr dankbar“, bestätigte Mike O’Donnell. Er erhob sich plötzlich und trat zu Leigh Anne und Katie. „Hallo, Katie. Willst du mich nicht umarmen? Ich weiß, dass du dich an mich erinnerst.“
Doch Katie umklammerte Leigh Annes Hand noch fester. Sie rührte sich nicht, schien nicht einmal zu atmen. Leigh Anne merkte, dass das Mädchen nicht nur schüchtern war.
Es hatte Angst vor seinem Onkel.
„Dann stehen Sie den Mädchen sehr nahe?“, fragte Leigh Anne schnell, damit er Katie nicht weiter bedrängte.
„Meiner Schwester, ihrer Mutter, stand ich sehr nahe“, entgegnete Mike. „Doch vor ihrem Tod und dem Tod meiner Frau habe ich die Familie, die Gott mir gab, nicht zu schätzen gewusst.“ Betrübt schüttelte er den Kopf, als missbillige er seine Vergangenheit.
„Es tut mir leid, ich wusste nicht, dass Sie auch Ihre Frau verloren haben“, sagte Leigh Anne und hoffte, dass Peter sich mit den Erfrischungen beeilte.
„Diese beiden Todesfälle haben alles geändert“, meinte Mike sanft. „Ich vermisse sie beide sehr. Doch Gottes Wege sind unergründlich, und ich habe gelernt, sie zu akzeptieren.“
Leigh Anne fragte sich, ob er auch seine Nichten vermisste. „Ja, Gottes Antworten scheint manchmal nur er selbst zu verstehen“, pflichtete sie ihm bei.
„Gott hat mein Leben verändert, Ma’am“, sagte Mike O’Donnell. „Ich habe das Trinken aufgegeben, das Kartenspiel und, entschuldigen Sie bitte, auch andere Formen des Zeitvertreibs. Ich bete, Ma’am. Ich bete jeden Tag zwei- oder dreimal um seine Hilfe und seine Führung.“
„Dann sind Sie ein sehr gläubiger Mensch“, rang Leigh Anne sich ab.
O’Donnell lächelte nur, doch
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