Es war einmal in New York / Nie wieder sollst du lieben
sich langsam. „Sir“, sagte er.
Am liebsten hätte Bragg die Augen verdreht. O’Donnells Unterwürfigkeit war absurd. Er erinnerte sich nur zu gut an den Mann: ein Schurke, der Frau und Kind verlassen und sich in keiner Weise um sie gekümmert hatte und den sowohl der Mord an seiner Frau als auch der an seiner Schwester nicht berührt hatte. „Bitte, Formalitäten sind nicht nötig. Wir sind doch alte Bekannte, nicht wahr?“ Bragg widerstand dem Bedürfnis, dem Mann die Faust ins Gesicht zu schlagen. Er würde nicht zulassen, dass O’Donnell ihr Leben noch komplizierte. Die Dinge waren so schon schwer genug. Seit dem Unfall war Leigh Anne sehr zerbrechlich und oft unglücklich. Einzig die Mädchen hellten ihr Leben auf.
Aus großen Augen sah O’Donnell Bragg an, als flöße er ihm enorme Ehrfurcht ein. „Beth! Setz etwas Wasser für Tee auf. Ich würde Ihnen ja einen Whiskey anbieten, aber ich habe das Trinken im März aufgegeben.“
„Wie verdienstvoll“, sagte Bragg. In Sekundenschnelle hatte er sich einen Überblick über die kleine Wohnung verschafft. Weil sie lang und schmal waren und nur ein Fenster am anderen Ende hatten, nannte man diese Art Wohnungen auch Eisenbahn-Apartments. Selbst von hier aus konnte Bragg in das Schlafzimmer sehen, wo ein Kleid, ein Damenmantel und ein Schal an der Wand hingen, weshalb er davon ausging, dass Beth O’Brien den Raum benutzte. Neben einem Kissen auf dem Sofa lag eine zusammengefaltete Decke, offensichtlich schlief Mike O’Donnell hier. Salon und Küche waren tatsächlich ein Raum, daher stand das Sofa dicht neben dem Küchentisch. Für die Bewohner dieser Art von Mietshaus lebten O’Donnell und O’Brien wie die Könige; normalerweise bewohnten mehrere Familien eine solche Wohnung. Wenn es auch eng war, die Sitzmöbel neue Polster gebrauchen konnten und das Holz dringend Wachs benötigte, war die Wohnung doch sehr aufgeräumt und sauber.
Bragg bedeutete O’Donnell, sich zu setzen. „Wie ich sehe, lesen Sie in der Bibel.“
„Ja, täglich“, entgegnete Mike und nahm Platz. „Ich finde Trost in den Worten des Herrn.“
„An solche Ergebenheit kann ich mich nicht erinnern, als Miss Cahill und ich vor einigen Monaten nach dem Mörder Ihrer Schwester und Ihrer Frau suchten. Dafür erinnere ich mich, dass Sie Miss Cahill verfluchten. Und ich erinnere mich, dass Ihr Priester von einer ungewöhnlich starken Zuneigung zu Ihrer Schwester sprach.“
O’Donnells Augen weiteten sich. „All diese Dinge tun mir so leid! Ich habe diese Sünden inzwischen viele Male gebeichtet – und auch andere, Sir. Ich war schrecklich unhöflich zu Miss Cahill. Und niederträchtig zu meiner eigenen Frau, Gott schütze ihre Seele. Und ja, ich hatte unpassende Gefühle für meine arme, geliebte Schwester. Aber ich habe gebeichtet, und man hat mir Absolution erteilt. Ich bin nicht mehr der Mann, der ich damals war. Nachdem Sie Kathleens und Marys Mörder gefunden haben, war ich am Boden zerstört. Ich hatte die zwei Menschen verloren, die ich nach meiner geliebten Tochter am meisten geliebt habe, und ich konnte so nicht weiterleben. Ich war kurz davor, mich umzubringen.“
„Sie wollten damals weder mit Ihrer Frau noch mit Ihrer Tochter etwas zu tun haben.“
„Sir, er sagt die Wahrheit.“ Beth trat mit ernstem Gesichtsausdruck vor. „Er schickte mir diesen seltsamen, unzusammenhängenden Brief, und ich wusste, dass er kurz davorstand, sich etwas anzutun. Meine Herrin war gerade verstorben – ich habe viele Jahre in Hartford gearbeitet –, deshalb kündigte ich meine Stellung und kam in die Stadt, um ihm vielleicht zu helfen. Und Mike war ein anderer geworden, er betete.“
Woraufhin Mike eifrig nickte. „Gott hat mich gefunden. Gott hat mich gerettet, und nun verstehe ich, warum er meineFrau und meine Schwester zu sich nahm.“
„Tatsächlich? Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir das zu erklären?“
„Wir dürfen Gottes Pläne niemals anzweifeln, denn er hat immer einen Plan“, erwiderte O’Donnell.
„Sir, wenn Sie Mikes guten Charakter anzweifeln, brauchen Sie nur mit Pater O’Connor zu sprechen. Er hat das Glücksspiel und den Alkohol aufgegeben, und er geht zweimal die Woche zur Messe. Er ist jetzt ein guter Mensch.“
„Nun, ich bin sehr erleichtert, das zu hören“, sagte Bragg. „Und wo ist Ihre Tochter, das Kind, das Sie im Stich ließen, als Sie Ihre Frau verließen? Ich meine, wo Sie jetzt so ein vorbildlicher Christ sind, sollte sie da nicht
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