Es war einmal in New York / Nie wieder sollst du lieben
zehnte Straße?“ Francesca versuchte, die Ruhe zu bewahren, doch es fiel ihr schwer, da sie damit rechnete, jeden Augenblick einen entscheidenden Hinweis zu erfahren.
Maggie nickte. „Ich stieß so heftig mit ihm zusammen, dass er nach mir greifen musste, damit ich das Gleichgewicht wiedererlangte. Er war ein richtiger Gentleman. Eigentlich war es mein Fehler gewesen, doch er war derjenige, der sich entschuldigte.“
Sie war mit einem Gentleman zusammengestoßen? Ob dasder Mörder gewesen war? „Meinst du das ernst, dass er ein Gentleman war?“, hakte sie nach. „Hast du ihn richtig sehen können? Hat er etwas gesagt?“
„Er war ein Gentleman, ein richtiger Gentleman“, betonte Maggie. „Er hatte die außergewöhnlichsten Augen, die ich je gesehen habe. Trotz der Dunkelheit konnte ich deutlich sehen, wie strahlend blau sie waren.“
Francesca war aufgesprungen. „Trug er einen Ring? War er groß?“
„Ich weiß nicht, ob er Schmuck trug, aber er war recht groß, bestimmt so groß wie Mr Hart. Und noch etwas, Francesca. Er war Ire.“
„Bist du dir da ganz sicher?“
„Er sprach nur kurz, und das auch mehr gemurmelt. Aber den Akzent erkannte ich auf Anhieb.“
Francesca konnte sich vor Aufregung kaum noch beherrschen. Wenn er der Schlitzer war, dann wussten sie nun, dass er Ire war.
Hart kam zu ihr und warnte sie: „Wir wissen nicht, ob dieser Gentleman der Mörder ist.“
Sie ignorierte seinen Einwand und verließ sich ganz auf ihren Instinkt. Der sagte ihr, Maggie war mit dem Mörder zusammengestoßen, als der nach seiner brutalen Tat Kates Wohnung verlassen hatte. „Maggie, würdest du den Mann wiedererkennen, wenn du ihn noch einmal siehst?“
„Oh ja“, erklärte Maggie überzeugt. „Einen Mann wie ihn könnte ich nicht vergessen.“
14. KAPITEL
Freitag, 25. April 1902
8 Uhr
Francesca blieb an der Türschwelle zum Frühstückszimmer stehen, einem freundlichen Salon, der in Goldtönen tapeziert war und dessen große Fenster den Blick auf den Garten hinter dem Haus der Cahills freigaben. Der Rasen hatte ein sattes Grün und war erst vor kurzem gemäht worden, die importierten belgischen Tulpen blühten bereits. Doch von alledem nahm Francesca kaum etwas wahr.
Andrew Cahill saß am Kopf des Frühstückstischs, in der Hand eine Ausgabe der New York Times, neben sich auf dem Tisch die Sun und die Tribune. Er legte die Zeitung weg und sah zu seiner Tochter auf. „Guten Morgen, Francesca. Willst du mir heute etwa wirklich beim Frühstück Gesellschaft leisten?“, fragte er ein wenig irritiert.
Sie bewunderte ihren Vater. Er war ein rundlicher Mann von mittlerer Größe mit einem ebenso rundlichen Gesicht und einem permanent gesunden Teint. Er besaß eine stets gleichmäßige angenehme Laune, was ihre Schwester Connie und ihr Bruder Evan von ihm geerbt hatten. Es kam nur selten einmal vor, dass sein Temperament mit ihm durchging. Er war so leidenschaftlich wie sie selbst den Reformen verschrieben, und alles, was sie darüber sowie über Politik und die Welt insgesamt wusste, hatte sie von ihm gelernt. Sie lächelte ihm freundlich an, als sie den Raum betrat. „Wir frühstücken aber doch immer zusammen, lieber Papa.“
„Gestern hast du die Flucht aus dem Haus angetreten, noch bevor ich mich hinsetzen konnte“, sagte er und klang nicht ganz so freundlich wie üblich.
Fast wäre sie zusammengezuckt, während sie zu ihm ging,um ihn zu umarmen. „Ja, ich bin recht früh aufgebrochen.“
Mit teils ernster, teils resignierter Miene betrachtete er sie. „Deine Mutter ist völlig verzweifelt! Sie erzählte mir, du würdest schon wieder einen Mörder jagen, und diesmal auch noch diesen Schlitzer! Mein Gott!“
Sie wusste nicht so recht, was sie dazu sagen sollte. Stattdessen zog sie einen Stuhl zurück und setzte sich erst einmal hin. „Papa, du weißt, wie wichtig mir Gerechtigkeit ist. Zwei Frauen wurden grausam ermordet, und es ist zu befürchten, dass weitere Morde folgen werden.“
„Ich weiß, wie wichtig dir Gerechtigkeit ist, Francesca. Niemand dürfte das so gut wissen wie ich – und niemand nimmt das mit mehr Stolz zur Kenntnis als ich. Mir ist auch bewusst, dass du deine Berufung im Leben gefunden hast. Anders als deine Mutter weiß ich auch, wie sinnlos es wäre, dir die Kriminalarbeit ausreden zu wollen. Aber so wie deine Mutter macht mir die Gefahr große Sorgen, in die du dich bei diesen Ermittlungen begibst.“
Sie drückte ihn fest. „Danke, Papa! Ich wusste,
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