Es wird Tote geben
Telefons? Damit kann man angeblich Leute über große Distanzen erreichen und fragen, wo sie sind und wann sie zurückkommen.“ Schäfer stieg an Schreyer vorbei zur Tür und sperrte auf.
„Nein, aber Sie sind drin, da!“ Schreyer hielt Schäfer die Titelseite einer lokalen Wochenzeitung hin.
Amoklauf im Alleingang verhindert! Heimischer Polizist überwältigt bewaffneten Pensionisten.
„Geh ins Bad und dusch dich heiß … ich bring dir was Trockenes zum Anziehen“, sagte Schäfer, nachdem er seinen Mantel abgelegt und die Schuhe ausgezogen hatte.
Während sein Besuch sich im Bad hoffentlich einer Lungenentzündung erwehrte, saß Schäfer in der Küche, trank eine Tasse Filterkaffee und las so widerwillig wie geschmeichelt den Bericht über seinen Einsatz bei Schöpf. Amoklauf … schwer bewaffnet … Alleingang … Realität versus Fiktion, wie der Drehbuchautor treffend bemerkt hatte. Ja, keine Frage, er war wieder einmal der Superbulle, als den ihn sogar diese oberschlaue Gymnasiastin sah. Dennoch: Was wäre passiert, wenn in Schöpfs Waffe nicht nur Schreckschusspatronen gewesen wären? Was würden sie schreiben, wenn eine seiner Kurzschlussaktionen einmal danebenginge? Konjunktiv, wieder einmal. Wie lange konnte das noch gut gehen, dass er auf die Regeln schiss und dennoch mit heiler Haut davonkam? Quo usque tandem, Johannes?, wie ihn sein Lateinlehrer des Öfteren gefragt hatte.
Genau deswegen hatten sie ihn ja nach Schaching versetzt – in eine Gegend, wo die Wahrscheinlichkeit von Delikten, die seinen Gerechtigkeitssinn, den andere Wahnsinn nannten, zum Äußersten provozierten, sehr gering war. Doch das verstanden die Medien anscheinend anders: Er war nicht hier, um sich von der Gewalt der Großstadt zu erholen, sondern um das Spannungsmoment der Gewalt in die Provinz zu bringen. Verkehrte Welt.
„Ich wäre dann fertig.“ Schreyer stand mit einem Handtuch um die Hüften an der Schwelle zur Küche und grinste.
„Wenn das Wasser kocht, gießt du es in die Kanne da.“ Schäfer ging ins Schlafzimmer, um trockene Kleidung zu holen.
In einem abgewetzten Trainingsanzug saß Schreyer schließlich im Wohnzimmer und trank brav seinen Tee. Zuerst hatte Schäfer eine Jeans und einen Wollpullover aus dem Kasten geholt. Sich dann umentschieden, weil er annahm, dass Schreyer sich im Trainingsanzug mit dem Aufdruck Polizei wohler fühlte. Ein wenig weh ums Herz wurde ihm, als er den in seinem augenblicklichen Glück verhafteten Inspektor ansah. Fast sechs Jahre hatte dieser ihm in Wien … gedient war das einzig richtige Wort, zumal Schreyer nur in einem dominanten Abhängigkeitsverhältnis funktionierte. Dann allerdings lief sein Gehirn wie ein Computer: Einen Berg Akten aus dem Archiv, der jeden anderen die Frühpension herbeisehnen ließ, sichtete er ohne Wenn und Aber. Inspektor!, konnte Schäfer ihn anherrschen, hat es von 1973 bis heute ein Tötungsdelikt gegeben, in dem ein Bleistift von Faber-Castell mit dem Härtegrad 4 eine Rolle gespielt hat? Und vier Stunden später stand Schreyer da und ratterte die Daten heraus wie ein Kontoauszugsdrucker.
Zum Leidwesen aller Nutznießer dieser halbautistischen Fähigkeiten hatte sich nach Schäfers Versetzung herausgestellt, dass der Inspektor zwar durchaus technisch, aber auch sklavisch funktionierte. Ohne den Major, sein einzig wahres Motherboard, brachen seine Leistungen ein, er wurde langsam, unzuverlässig und störrisch. Was dem neuen Gruppenleiter Bergmann nach einer zweimonatigen Toleranzfrist keine andere Wahl gelassen hatte, als Schreyer zuerst zu beurlauben, um sich nach einem passenden Job umzusehen, und ihn dann zu entlassen. So war Schreyer beim Statistischen Zentralamt gelandet. Und dort aufgrund seiner Fähigkeiten in Kombination mit fehlenden Karrierewünschen zum Wunschkind jedes faulen Beamten geworden.
„Wie läuft es bei der Arbeit?“, fragte Schäfer, nachdem sie sich bestimmt zehn Minuten schweigend gegenübergesessen waren.
„Gut … sie haben mir eine Gehaltserhöhung in Aussicht gestellt.“
„Die steht dir jedes Jahr automatisch zu … lass dich von denen nicht verarschen.“
„Nein, bestimmt nicht … Wie … Ihnen geht es gut, hier?“ Schreyer griff verlegen zu seiner Teetasse.
„Das Haus und der Garten sind super, die Arbeit ist … gewöhnungsbedürftig.“
„Ja, wie bei mir.“
„Haben Sie noch Kontakt zu Bergmann?“, fragte Schäfer, obgleich er wusste, dass Schreyer diesen einmal in der Woche
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