Es wird Tote geben
die sie beeindruckt hatten. Mit einigen kryptischen Kürzeln konnte er überhaupt nichts anfangen. Ein Code? Oder nur die übliche Kommunikationskluft zwischen den Generationen?
Sein Gesamteindruck, nachdem er das Heft durchgesehen hatte: ein typischer Teenager, hormonelle Höllenpein, schwarze Kleidung, Verworrenheit zwischen Tagträumen und Langweile – so wie auch er, Johannes Schäfer, in diesem Alter gewesen war. Dass ihre Lehrer und Mitschüler sie als lebensfrohes und unbeschwertes Mädchen geschildert hatten: bornierter Gehorsam gegenüber der Polizei und die Angst vor den Vorwürfen, warum sie denn nichts bemerkt hätten et cetera.
Dann lag er im Bett. Hatte die Augen geschlossen und sah zu, was sich dahinter abspielte. Sanders, der Drehbuchautor, eine willkommene Abwechslung, was wohl für jeden ortsfremden, halbwegs intelligenten Menschen zuträfe.
Landespolizeikommandant Warstätter, der nach Sanders’ Besuch sein Pfauenrad aufgeschlagen hatte. Ihn zuerst lobte für die gewaltfreie Bereinigung der krisenhaften Situation mit diesem unberechenbaren Pensionisten. Dann aber doch zu bedenken geben wollte, dass solch ein Vorgehen hier, im Gegensatz zu Wien … dass der Hase hier anders lief, und er, Oberst Warstätter, doch Wert darauf legte, dass Situationen wie die mit jenem unberechenbaren Menschen, obgleich mit Bravour gelöst, wie er, ein Polizist alter Schule, neidlos anerkenne, doch auch manchmal einer Reflexion bedürften, die, ja, Major, wir verstehen uns, bla bla bla, die tausendmal gehörte Schulmeisterei.
Apropos schulmeisterlich: Bergmann gedachte ja am Wochenende mit Kovacs bei ihm aufzutauchen. Nach einer Radtour, die die beiden masochistischen Polizisten bei Sonnenaufgang in Klosterneuburg beginnen und etwa acht Stunden später mit einer Kohlehydrat-Orgie in Schäfers Garten abschließen wollten. Er hob seinen müden Körper, drehte die Nachttischlampe auf und kritzelte in den Block auf dem Nachttisch: Nudeln und Fleisch einkaufen. Ein paar Sekunden blieb sein Blick an diesen Worten hängen – früher waren auf Seiten wie diesen nur nächtliche Geistesblitze zu irgendwelchen komplizierten Fällen gestanden, und jetzt: Fleisch und Nudeln. Steak blutig! kritzelte Schäfer zu seinem eigenen Amüsement hinzu und drehte das Licht ab.
12.
Täglich grüßt das Eichhörnchen. Mehr aus Pflichtbewusstsein seinem Körper gegenüber denn aus Freude an der Natur drehte Schäfer sonntagvormittags die gleiche Runde wie am Vortag. Zumindest wartete diesmal bei seiner Rückkehr kein unangemeldeter Besuch.
Nach einem Zitronengras-Sandelholz-Bad (Wolkinger) setzte er sich vor den Fernseher und vergaß sich eine halbe Stunde bei den Morden des Herrn ABC . Dann drehte er den Ton ab und widmete sich abermals dem Notizbuch von Yvonne Raab. Aus diesen Kürzeln wurde er nicht schlau – aber neugierig. Er holte seinen Laptop und suchte nach der Abkürzung SIB. Sicherheitsbeauftragter, Sowjetisches Informationsbüro … Dass Yvonne für einen Geheimdienst gearbeitet hatte und sterben musste, weil sie zu viel wusste, zu dieser Schlussfolgerung brauchte es schon einen Menschen wie Sanders. CUT … was denn schneiden? Oder war diese Droge aus dem Jemen gemeint, der Kathstrauch? TML ! … Entnervt gab Schäfer auf, legte das Buch beiseite und starrte ein paar Minuten auf den Fernseher. Er musste den Kopf frei bekommen.
Kurz darauf saß er am Küchentisch, vor sich seine japanische Messerkollektion, einen Wasserstein und ein feuchtes Schwammtuch. Die Lautsprecher im Wohnzimmer steuerten seinem Tun Bachs Goldberg-Variationen bei. Einem Betrachter ohne Hintergrundwissen, der zufällig durchs Küchenfenster geschaut hätte, wäre wohl das prototypische Bild eines Serienmörders vor Augen gestanden. Doch Schäfer selbst gelangte über die langsamen und gleichmäßigen Bewegungen, mit denen er das Messer nun über den Stein zog, in einen Zustand fast rauschhafter Versunkenheit. Zen und die Kunst des Messerwetzens, hatte er einmal zu Bergmann gesagt, als der sich anerkennend über die Qualität der Messer geäußert hatte, während er die Zutaten für seine famosen Rindsrouladen schnitt. Suminagashi, 37 Lagen Stahl unterschiedlicher Härte, hatte Schäfer geprahlt, mit denen können Sie eine Wespe in der Luft zerteilen. Und das war kein hochtrabender Vergleich, das hatte er selbst ausprobiert, als ihm das Schleifen einmal zu langweilig geworden war.
Jetzt stand er an der Anrichte und schnitt Sellerie, Karotten und
Weitere Kostenlose Bücher