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Es wird Tote geben

Es wird Tote geben

Titel: Es wird Tote geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Haderer
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Zeitpunkt.“
    „O Mann … und ich dachte immer, dass ich einen an der Klatsche habe.“
    „Ich kann Ihnen etwas geben“, sagte Schäfer zwei Gläser später.
    „Was denn?“
    „Eine Ermittlungsakte … allerdings ist sie zehn Jahre alt und ich müsste sie davor lesen.“
    „Warum?“
    „Warum was?“
    „Warum müssen Sie sie davor lesen … Sie kennen sie ja schon, oder?“
    „Nein … das ist ein Fall aus der Gegend … da war ich noch nicht dabei, weil … egal … ich muss sie davor lesen und eventuelle Indiskretionen herausnehmen …“
    „Worum geht es in diesem Fall?“
    „Ein vermisster Junge aus der Gegend … nie gefunden … seine Mutter ist inzwischen völlig durch den Wind, spaziert durch den Wald und singt Kirchenlieder … mehr weiß ich auch nicht.“
    „Wahnsinn, ein cold case … und das würden Sie mir wirklich geben?“ Sanders glühte förmlich vor Begeisterung und schenkte die Gläser randvoll.
    „Sie haben wirklich wenig Ahnung“, erwiderte Schäfer, bemüht, nicht allzu verächtlich zu klingen, „wenn hier ein siebzehnjähriger Bursch vermisst wird, kämmen mindestens siebzig Kollegen die Gegend durch … Hunde, Hubschrauber, Wärmebildkameras … Straßensperren, Grenzkontrollen … danach Taucher und Leichensuchhunde … Was glauben Sie, wozu wir unsere Ausbildung erhalten haben? Damit eine gelangweilte Frühpensionistin, die alle Agatha-Christie-Romane gelesen hat, beim Spaziergang mit ihrem Golden Retriever über ein Beweisstück stolpert, das wir leider übersehen haben?“
    „Nein, natürlich nicht … so war das nicht gemeint“, Sanders stand auf, torkelte zum Feuer und legte zwei Scheiter nach – ganz schön mutig, der Bursche, „ich habe nur noch nie solche … Ermittlungs… in den Händen gehalten.“
    „Erwarten Sie sich nicht zu viel … danach sind Sie genauso schlau wie vorher … sonst hätten wir ihn schon gefunden.“
    „Aber … Sie haben gesagt, dass Sie damals gar nicht dabei waren.“
    „Wir, die Polizei …“
    „Einer für alle, alle für einen.“
    „So in etwa, ja.“
    „Und wenn ich wirklich was finde?“
    „Dann haben Sie’s erfunden.“

15.
    Nach zwei doppelten Espresso ging er die Vorfälleder vergangenen Nacht durch. Nichts Außergewöhnliches: ein Ehestreit, der überlaut, aber ohne Handgreiflichkeiten ausgetragen worden war. Eine alte Frau, die sich beschwert hatte, dass vom Balkon unter ihr Rauch in ihr Schlafzimmer zog. Vielleicht von einem Griller? Nein, auch keine Zigaretten, so scharf irgendwie, ein bisschen süßlich. Ein Mopedunfall mit zwei Leichtverletzten, ein paar Ruhestörungen … eine Schießerei? Wahrscheinlich Knallkörper, hatte Iron Cop II auf dem Protokoll vermerkt, nachdem es sich um eine schnelle Abfolge von fünf bis acht schussähnlichen Geräuschen gehandelt hatte, denen jedoch weder ein Schütze noch ein Opfer zugeschrieben werden konnte. Zum Glück hatte der Drehbuchautor einen spontanen Tinnitus erlitten und jeden weiteren Waffengebrauch untersagt, nachdem Schäfer ein halbes Magazin auf die leeren Weinflaschen gefeuert hatte … hm … ja … sein Gehirn war sogar zu träge, um deswegen ein schlechtes Gewissen produzieren zu können.
    Er erinnerte sich, dass er Sanders die Akte zum Fall Materna versprochen hatte. Für wann, wusste er allerdings nicht mehr. Nach Hause würde er den verstaubten Packen nicht mitnehmen, um allfällige Aufzeichnungen zu entfernen, die nicht in die Hände und Ohren einer Zivilperson gehörten. Am Wochenende, da könnte er … nein, da hatten sich Bergmann und Kovacs angekündigt und Schäfer hatte versprochen, ihnen ein fettes Abendessen aufzutischen. Sonntag vielleicht … warum nicht gleich, sagte er sich, hievte den staubigen Stapel aus dem Schrank und stellte ihn auf dem Schreibtisch ab. Sollte Sanders die Akten mitnehmen und sich daraus das Material für einen Roman saugen, dann war der alte Krempel wenigstens für irgendetwas gut. Er rief Auer zu sich und ersuchte sie, die ersten hundert Seiten aus der Akte zu kopieren. Nachdem sie die Kopien zurückgebracht, auf seinen Schreibtisch gelegt und ein paar Sekunden innegehalten hatte – wohl in der Hoffnung, dass Schäfer sie mit einer Neuaufnahme dieses Falls betrauen wollte –, verließ sie das Büro.
    Schäfer erlaubte sich einen Seufzer, als hätte er die Schularbeiten einer Klasse hoffnungsloser Nieten vor sich, nahm einen schwarzen Faserstift und begann die Akten um verfängliche Namen und Aussagen zu bereinigen.

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