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Es wird Tote geben

Es wird Tote geben

Titel: Es wird Tote geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Haderer
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bei dem er diese Fähigkeiten unter Beweis stellen konnte, bei dem er zudem im Tausend-Watt-Licht der Öffentlichkeit stand, verhielt er sich, als ginge es um eine gestohlene Sonntagszeitung.
    Schäfer erreichte den Teich: Rucksack weg, Kleider weg, einen Plastiksack um den Verband an der Hand gebunden und ab ins Wasser, als wäre er kurz zuvor in einen Ameisenhaufen gefallen. Er tauchte ein paar Meter und schwamm dann den Teich entlang des Ufers ab. Zwei Pärchen und eine Familie mit drei Kindern nahm er wahr. Für einen Sonntag mit dreißig Grad so gut wie niemand, gratulierte sich Schäfer zu seinem kleinen Paradies. Hierher führte keine Straße und der Waldpfad war auch für geübte Mountainbiker weder Herausforderung noch Vergnügen. Einmal waren Schäfer im Wald zwei jugendliche Motocrossfahrer untergekommen. Zuerst hatte er an Forstarbeiter mit Kettensägen geglaubt. Dann waren diese Wüstlinge vor ihm aufgetaucht, worauf er einen schweren Ast aufgehoben hatte und brüllend auf sie zugestürmt war. Der eine war vor Schreck sofort vom Motorrad gefallen, der andere hatte die Flucht ergriffen und war in halbwegs sicherer Entfernung stehen geblieben. „Beim nächsten Mal schlage ich euch den Schädel ein“, hatte Schäfer geschrien und es bestand kein Zweifel, dass er es ernst meinte. „Si vis pacem, para bellum“, hatte er im Weitergehen gemurmelt, leicht beschämt wegen seiner Raserei, aber auch stolz, den Waldfrieden gesichert zu haben.
    Zwei Stunden später legte er die Akten weg und lief abermals in den Teich hinein. Die hoch stehende Sonne hatte die Wasseroberfläche bereits so erwärmt, dass sie kaum noch Abkühlung brachte. Schäfer schwamm in die Mitte des Teichs und tauchte zum Grund. Dort legte er sich bäuchlings hin und hielt sich an den Algen fest, bis seine Lungen nicht mehr mitmachten und ihn zum Auftauchen zwangen. Er wiederholte diesen Vorgang unzählige Male, wobei er sich nur auf seinen Atem und seinen Herzschlag konzentrierte. Danach war sein Geist klar und scharf wie dreifach destillierter Vogelbeerschnaps. Mit geschlossenen Augen ließ er sich am Rücken treiben. Er konnte Sanders nur recht geben: An diesen Ermittlungen war etwas faul, oberfaul, da stank etwas wie eine Faulleiche.
    Woran das lag, hatte der Drehbuchautor nicht sagen können, aber er hatte es gefühlt. Und nun steckte Schäfer seine Nase hinein und prüfte, woher genau dieser Gestank kam. Am mangelnden Einsatz lag es nicht: Die Beamten hatten jeden Mitschüler, jeden Lehrer, alle Verwandten und Bekannten befragt. Parallel dazu war das Gebiet in einem Umkreis von über siebzig Kilometern durchkämmt worden, jeder See, jeder Heuschober, jedes leer stehende Gebäude. Sie hatten Hubschrauber, Suchhunde, hunderte Freiwillige von den Feuerwehren bis zum Bundesheer im Einsatz gehabt. Sie hatten die Überwachungsbänder der Tankstellen, Bahnhöfe und nächsten Flughäfen gesichtet, sie waren jedem noch so obskuren Hinweis nachgegangen, hatten sogar eine Lagerhalle durchsucht, zu der sie von einer Hellseherin geschickt worden waren … Offenbar hatten sie nichts unversucht gelassen, um den Jungen zu finden. Und ebendieser vorbildliche Einsatz störte Schäfer. Weil er zu nichts geführt hatte. Nicht unbedingt, was den letztgültigen Erfolg, die Auffindung der vermissten Person, betraf. Die konnte sich am Wipfel einer Tanne erhängt haben und von den Raben gefressen oder von irgendeinem Perversen eingesperrt worden sein – Heimat, bist du großer Keller. Zu nichts geführt, weil diese monatelangen Ermittlungen ihm aus gegenwärtiger Sicht vorkamen wie der Seniorentanzabend auf einem Billig-Kreuzfahrtschiff: Man dreht sich im Kreis, nur um in Bewegung zu bleiben und sich davon abzulenken, dass man an einem langweiligen Ort in langweiliger Begleitung ist. Genau: langweilig, das war es, was Schäfer an diesem Fall störte. Unzählige lose Fäden, aber nie war jemand da, der sagte: Burschen!, hier wird’s interessant, hier ziehen wir die Schlinge enger.
    Dieser Jemand hätte Chefinspektor Stark sein müssen. Er hatte fünfzehn Jahre im Ort gearbeitet, kannte die Leute, kannte viele ihrer dunklen Seiten. Da war es doch nicht möglich, dass der sich bei ein paar vorübergehenden Pseudoverhören und -festnahmen aufhielt (zwei slowakische Küchenhilfen, die mit der Weitergabe von Haschisch in Verbindung gebracht wurden; der Besitzer einer Videothek, mit dem Alexander Materna ein paar Mal beim Dartspielen in einem Lokal gesehen worden

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