Es wird Tote geben
war; ein 39-jähriger Bildhauer aus Passau, der den Jungen nachweislich zwei Mal besucht hatte). Allein bei diesen beiden Personen hätte doch irgendwer aufmerksam werden und sich sagen müssen: Hm, keine Freundin, in erster Linie Bekanntschaften mit Männern, möglicherweise homosexuell. Wenn ja, dann fast sicher Kontakte nach Linz, Salzburg oder Wien, zumal Schwule in der österreichischen Provinz, pardon, immer noch am Arsch waren. Und wenn sich dieser Verdacht bestätigt hätte: Konflikte mit der Familie? Konflikte mit irgendwelchen homophoben Spinnern aus dem Ort, die der schwulen Sau vielleicht eine aufs Maul geben wollten? Gab es vielleicht einen Familienvater, der mit Alexander seine eigentliche Neigung auslebte? Eine Liebesbeziehung, die genug Konfliktpotenzial barg, um in einem Totschlag, einer Körperverletzung mit Todesfolge, vielleicht auch nur in einem Unfall zu enden, bei dem die Leiche verschwinden musste, weil der Verantwortliche … ein angesehener Unternehmer, ein Politiker … ein Polizist war? Spekulationen, natürlich, aber genau darin hatte sich ein Ermittlungsbeamter auch zu ergehen, wenn sonst nichts weiterging. Und hier? Hier war ein Berg an Informationen, der weniger dazu diente, einen guten Überblick zu verschaffen, als die Sicht zu verstellen. Schäfer schwamm ans Ufer und legte sich schlotternd in die Sonne.
21.
Der Rückweg wurde beschwerlich. Schäfer hatte nur wenig gegessen und getrunken, die Hitze hatte ihm trotz des Waldschattens mehr zugesetzt als erwartet, und da er beim Studium der Akten die Zeit übersehen hatte, stand die Sonne schon auf Orange, während er gerade einmal die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte.
Nun merk’ ich erst, wie müd’ ich bin, da ich zur Ruh’ mich lege:
Das Wandern hielt mich munter hin, auf unwirtbarem Wege.
Schwache Beine, Unterzucker und eine blöde Angst, die ihm einredete, dass er jeden Augenblick kollabieren und sterben konnte. Jetzt bloß keine Panikattacke!
Auch du, mein Herz, in Kampf und Sturm, so wild und so verwegen,
fühlst in der Still’ erst deinen Wurm mit heißem Stich sich regen!
Er sollte am Posten anrufen und sich abholen lassen. Und dann das hämische Grinsen von Iron Cop II ertragen? Der vermutlich daran gewöhnt war, 24 Stunden durch den Wald zu hetzen und sich nur von Tau und Maden zu ernähren. Da musste es doch eine andere Alternative geben. Wie zur Antwort aus höheren Sphären rief in dem Moment, als Schäfer sich erschöpft auf einen Baumstumpf setzte, Sanders an.
„Haben Sie ein Auto zur Verfügung?“, übernahm Schäfer den Gesprächsbeginn.
„Ein Auto? Nein, heute leider nicht, brauchen Sie eins?“
„Nein, ich wollte nur einmal wieder eins sehen“, erwiderte Schäfer mürrisch, „was gibt’s?“
„Ich wollte nur wissen, ob Sie vielleicht schon in die Akten geblickt haben wegen …“
„Nein“, log Schäfer, „vielleicht komme ich heute Abend dazu.“
„Okay, dann wegen dieses anderen Falls, mit diesem Mädchen, da habe ich mir auch ein paar Gedanken dazu gemacht …“
„Und was genau?“ Schäfer stand auf und streckte stöhnend seinen Rücken durch.
„Das ist doch genau so etwas, worüber wir neulich Abend gesprochen haben …“
„Ich kann mich nicht erinnern.“
„Wenn ich ein Psychopath wäre und die besten Ermittler Europas ermorden möchte … dass ich da eine Botschaft hinterlassen müsste!“
„Ja, einen griechischen Buchstaben oder eine römische Ziffer am besten, eingeschnitzt in den Leichnam.“
„Wieso das?“
„Das war ein Scherz. Wir haben darüber gesprochen, was Sie für einen Grund haben könnten, mich zu ermorden, wenn wir in einem Ihrer Romane wären … und dort kommen solche Botschaften für gewöhnlich vor, oder?“
„Also können Sie sich doch erinnern?“
„Ja, von mir aus“, Schäfer suchte erfolglos nach einer Zigarette, „also was ist jetzt mit dieser Botschaft?“
„Der Film! … Das bedeutet doch, dass der Täter von der Übungsphase übergegangen ist in eine Phase, wo er sich seiner sicher ist und …“
„So weit sind wir noch nicht“, erwiderte Schäfer und nahm seinen Rucksack ab. Irgendwo mussten doch diese verdammten Zigaretten sein. „Wir können von keinem Täter sprechen, wenn ein Suizid vorliegt.“
„Ja, aber nur mal angenommen … dann wäre dieses Mädchen die erste einer Serie und es ist nur eine Frage der Zeit, bis …“
„Moment“, unterbrach Schäfer das Gespräch, weil ein anderer Anrufer anklopfte. Auer.
Weitere Kostenlose Bücher