Es wird Tote geben
eben in einem Dinosaurierpark aufgewacht.
„Na dann“, Schäfer stand auf und räumte die Gläser ab, „wäre ja vorerst alles geklärt …“
„Ja, sicher“, erwiderte Hornig, dem nun noch weniger klar war.
Auf dem Nachhauseweg fielen Schäfers Gedanken durcheinander wie die Wäsche in einer Waschmaschine. Einmal die Mädchen, bei denen sie nicht weiterkamen – wie denn auch mit dieser Truppe! Dann plötzlich wieder Frau Materna und ihr Sohn. Die Schlampereien und Ungereimtheiten in den Ermittlungen. Die sich doch nur damit erklären ließen, dass Schäfers Vorgänger in das Schicksal dieser Frau und ihres Sohnes mehr als nur beruflich involviert war. Und dann noch Doktor Kettner, der mit Frau Materna ebenfalls eine Beziehung gehabt haben dürfte … Doktor Kettner, der in seinem Keller … ah, jetzt wechselte die Maschine in den Schleudergang, rasende Gedanken, die sich nur durch Taten einbremsen ließen.
Schäfer drückte das Gartentor auf, setzte sich auf die Terrasse und rief Doktor Lind an. Er bräuchte sein Einverständnis zu einer inoffiziellen Inspektion seines Kellers. Nach dessen sofortiger Zusage fügte Schäfer hinzu, dass er für eine zielführende Untersuchung auch die Fingerabdrücke und eventuell sogar DNS-Profile des Doktors sowie der Personen bräuchte, die ihm beim Abtransport der Medikamente behilflich gewesen waren. Zögern. Hier bedurfte es ein paar pathetischer Sätze zum Zusammenhang zwischen hippokratischem Eid und Wahrung der öffentlichen Sicherheit unter besonderer Berücksichtigung der Jugend, bis Lind zustimmte. Gut, und zu keinem ein Wort! Weniger, um keinen Verdächtigen zu warnen, als aus Sorge, dass Warstätter auf verschlungenen Wegen von dieser Aktion erfahren könnte. Denn bei allem Tatendrang, den Schäfer mit einem Mal in sich spürte: Mit den Maßnahmen, die er zu ergreifen gedachte – von Sanders als verdecktem Ermittler bis zur Untersuchung dieses Kellers –, stand er sogar als hochrangiger Polizeibeamter in Schaching mit einem Fuß in der Frühpension.
28.
Er öffnete die Augen, hörte eine Zeit lang auf die Geräusche von draußen – Vögel, nur Vögel – und richtete sich auf. Seltsam. Nach dem Erwachen war er für ein paar Sekunden überzeugt gewesen, in Wien zu sein, in seiner alten Wohnung, seinem alten Job.
„Das ist nicht gut“, sprach er zum Fenster hin und warf die Decke zurück. Mit diesem Gefühl verband sich unweigerlich, dass ihm vor dem Schlafengehen und nach dem Aufstehen nie genug Zeit blieb für die Dinge, die ihm am Herzen lagen: die langen Spaziergänge in erster Linie, die in den letzten Tagen zu kurzen Fußmärschen im Ort geschrumpft waren. Schäfer ging ins Bad, duschte kalt, aß eine Banane, trank ein Glas Wasser und zog seine Turnschuhe an.
Zwanzig Minuten später setzte er sich am Waldrand auf eine morsche Bank. Neben ihm ein Marterl mit ausgebleichten Plastikblumen und längst verloschenen Kerzen. Immerhin schien die Sonne, und das würde sie noch ein paar Milliarden Jahre machen. „Wenn auch nicht für mich“, murmelte Schäfer und zündete sich die erste seiner beiden Wegzehrungszigaretten an. Er spürte, dass er in einer Depression zu versinken drohte. Und anders als früher konnte er auch die Gründe dafür benennen: zu viel Einsamkeit, zu viel Arbeit, vor allem zu viel Arbeit, also zu viel Grausamkeit, zu wenig Zeit für sich. Dazu diese Mädchen, ihr Tod auf Video, und keine Spur, die zur Person führte, die diese Filme an die Polizei geschickt hatte. Keine Spuren? Natürlich gab es welche – doch entweder verliefen sie gleich im Sand oder zeigten nicht genug Profil, um zu einem eindeutigen Verdacht, geschweige denn zu einer Festnahme zu führen. Herr im Himmel, kann ich nicht einmal für ein paar Minuten an etwas anderes denken!
„Dich liebt, o Gott, mein ganzes Herz. Und dies ist mir der größte Schmerz …“ Diese Stimme kannte er, dieses Lied kannte er seit seiner Zeit als Ministrant auswendig.
„ … dass ich erzürnt dich, höchstes Gut. Ach, wasch mich rein in Jesu Blut …“, brummte er mit geschlossenen Augen.
„Sind Sie bei uns im Chor?“ Schäfer schaute auf und sah Frau Materna vor sich stehen. Schade. Schade, dass sie nicht in einem innigen Duett dieses Stück zu Ende gesungen hatten. Ach, warum war das Leben immer nur dann voller Kitsch, wenn es ihm nicht behagte.
„Nein … aber das Lied kenne ich ganz gut.“ Er hielt sich die Hand an die Stirn, um sie besser sehen zu können. „Aber mit
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