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Es wird Tote geben

Es wird Tote geben

Titel: Es wird Tote geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Haderer
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Viertelstunde beendete Jakob das Telefonat, weil er in den OP musste.
    Schäfer steckte das Handy weg und wollte ebenfalls aufbrechen. Er schaffte es nicht. Als ob er plötzlich mit der Bank verwachsen wäre, als ob seine Füße Wurzeln geschlagen hätten. Auch das eine Möglichkeit: dass ihn die Natur zu sich nahm. Dass er eine Borke ansetzte, bald der Sonne folgende Äste anstatt sehnender Hände in den Himmel streckte, den Jahreszeiten gemäß austrieb, blühte, sich zurückzog und seine Kräfte im Innersten sammelte, während die Krähen ihn bewachten, bis erneut der Frühling kam. Und immer blieb diesem Baum etwas von einer Menschengestalt, vor allem im Dämmerlicht, wenn er wie ein Scherenschnitt in der graublauen Himmelsfläche zu stehen schien. Und so entstünde dann die Sage, die in hundert Jahren die ersten Alten ihren Enkeln erzählen würden. Vom traurigen Schäfer, der in seiner Verzweiflung die Geister des Waldes angerufen, gebeten hatte, ihm beizustehen. Erbarmungsvoll waren sie seinem Flehen nachgekommen, hatten ihn aufgenommen in ihren Stamm. Und kein Fluch war es, den sie dabei ausgesprochen hatten, der sich durch die Liebe einer Nymphe brechen ließe. Vielmehr ein Segen, eine Erlösung, eine Einkehr in den Schoß der größten Familie. „Familie“, murmelte Schäfer und hob schwer seine Lider, eine schmerzende Sehnsucht fühlte er; wonach? Nach dem verlorenen Paradies?
    Er erhob sich und stöhnte wie ein alter Mann mit Gicht in allen Gliedern. Was für ein Paradies denn? Der Sehnsuchtsort, der erst im Rückblick aus der Hölle entstanden ist. Aber immer noch besser, sich zu sehnen und danach zu trachten, als höhnisch zu verachten. Denn das ist doch das wahre Böse, sagte sich Schäfer auf dem Nachhauseweg. Die Hand zu verweigern, die einem das Gute immer wieder hinhält, sich besser zu fühlen in der Verdammnis als im Bemühen, es besser zu machen. Das Böse: Wer war es denn diesmal?

37.
    Mürrisch trat er zur Arbeit an. Ganz anders seine Kollegen, unter denen die Stimmung gelöst, fast fröhlich war. Dass er den Fall ans LKA abgegeben hatte, schien sie nicht im Geringsten zu kränken. Warum auch. Auer war offensichtlich die Einzige, die mit dieser verzwickten Psychogeschichte etwas zu tun haben wollte. Selbstmörder, ja. Aber Selbstmörderinnen im Teenageralter, deren fragwürdiges Ableben per Video an die Polizei geschickt wird? Brz brz, da surrten die Schaltkreise in ihren Köpfen wie vormals in den ländlichen Haushalten, als plötzlich Geschirrspüler, Waschmaschine und Trockner parallel gelaufen waren.
    Zu Mittag bekam er ein Mail vom LKA . An Laura Grabers Fahrzeug war höchstwahrscheinlich manipuliert worden. Und der Unfall damit möglicherweise versuchter Mord – Konjunktiv. Sie hatten Simon Graber vernommen. Ohne Erfolg. Beweise hatten sie keine, die Indizien waren zu dürftig, um ihn festhalten zu können. Es gab keine vorhergehenden Konflikte, keine Gewalttätigkeiten, nicht einmal verbale Auseinandersetzungen – das hatte sogar Laura Graber bestätigt. Obendrein fehlte ein plausibles Motiv. Die Geschichte mit den Selbstmorden und Grabers nicht belegte Verstrickung darin war schon einmal abgeschmettert worden. Der einzige Vorteil, den Simon Graber aus dem Tod seiner Schwester ziehen konnte, war das Haus in Freikirchen. Das LKA hatte den zuständigen Notar kontaktiert und bestätigt bekommen, dass die Mutter beide Kinder zu gleichberechtigten Erben eingesetzt hatte. Doch das war zu wenig. Als Nächstes würden die Kriminalisten sich in der Anwaltskanzlei umhören, bei der Laura Graber arbeitete. Vielleicht fände sich dort eine Spur, ein verlorener Prozess, Klienten mit Verbindungen zum organisierten Verbrechen, sie würden sich melden, sobald sie mehr wüssten.
    Halb verärgert, halb sich bestätigt fühlend legte Schäfer den Bericht beiseite. Ohne die beiden Kripo-Beamten unterschätzen zu wollen, traute er sich eine Prognose für die weitere Entwicklung zu: Gewiss würden sie noch das nähere Umfeld von Simon Graber durchleuchten – Adoptivmutter, Arbeitskollegen und vielleicht sogar ehemalige Mitschüler. Doch wenn sich den bisherigen Todesfällen kein neuer hinzufügte, der ihn verdächtig machte: dann brauchte es nur einen einzigen Fall mit mehr Medienaufmerksamkeit und das LKA würde sich schulterzuckend von ihm verabschieden.
    Und in einem seiner seltenen Momente der Selbsterkenntnis wurde Schäfer bewusst, dass er sich genau das wünschte: dass die Kollegen von der Kripo

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