Es wird Tote geben
nur, jetzt, mit der Stimme der langjährigen Erfahrung und wo ich Ihr Wesen und Ihre Arbeitsweise nicht mehr am eigenen Leib erfahren muss … ohne Ihnen in den Arsch kriechen zu wollen, glaube ich einfach, dass das LKA nichts weiterbringen kann, wo Sie gescheitert sind.“
„Danke, Bergmann … habe ich Ihnen eigentlich schon erzählt, dass in meinem Keller eine Leiche vergraben liegt?“
„Was?! Nein! … warten Sie, ich muss mir noch eine Zigarette holen.“
38.
„Was ist los mit dir?“, fragte Schäfer, da die Katze dem ihr zugeworfenen Stück Schinken nicht einmal einen Augenaufschlag gönnte. Was war los mit dem Tier? Überanstrengung, Wetterumschwung, Menstruationsbeschwerden? Schäfer stand auf und nahm die Katze in den Arm. Sie seufzte auf. Ihm wurde schwer ums Herz. Was sollte er tun? Sie so schnell wie möglich zu Frau Materna zurückbringen, damit sie in ihrem ursprünglichen Habitat sanft entschlafen konnte?
„Wenn Sie wollen, kann ich sie zur Beobachtung hierbehalten“, meinte die Ärztin, nachdem sie die Katze untersucht hatte.
„Reden Sie Klartext“, erwiderte Schäfer und wünschte sich umgehend, er hätte diesen Satz zuvor einer Spülung im sanften Bach der Behübschung unterzogen. Doch wozu; er war lange genug auf dieser Welt, um zu wissen, was zur Beobachtung hierbehalten hieß: Keine Ahnung, was los ist, aber vielleicht weiß ich’s nach der Obduktion. „Entschuldigung … das war nicht … ich mach mir Sorgen um sie.“
„So ein Tier kann einem schnell ans Herz wachsen“, erwiderte sie ohne Anzeichen von Verärgerung.
„Also macht sie es nicht mehr lange, oder?“
„Sie ist eine alte Dame … organisch fehlt ihr nichts, soweit ich das auf die Schnelle beurteilen kann, aber sie ist eben schon sehr alt …“
„Was … wie merke ich denn, wenn es ihr schlecht geht und ich …“
„Sie haben es eh gemerkt“, sie sah Schäfer tief – war das tief? – in die Augen, „richten Sie ihr einen Platz im Haus ein, geben Sie ihr zu fressen und …“
„Und was mache ich mit dem Raben?“, eben noch schaffte es Schäfer, diesen Satz hinunterzuschlucken, stattdessen: „Und wenn sie stirbt, dann stirbt sie.“
„Ja … das ist die Natur … die lässt sich von keinem Gesetz beeindrucken.“
Nach dem Besuch bei der Tierärztin verbrachten Schäfer und die Katze eine wunderliche halbe Stunde auf dem kleinen Parkplatz vor der Praxis. Immer wieder griff er zum Zündschlüssel, immer wieder ließ er die Hand sinken. Er sehnte sich. Nach irgendetwas anderem. Nach etwas Unvorhergesehenem. So lange die Landstraße entlangzufahren, bis er eine Autostopperin mitnehmen konnte, die etwas sagte wie: Richtung Süden. Und er würde antworten: Liegt nicht in meiner Richtung, aber ich hab das Meer ohnehin schon lange nicht mehr gesehen. Das Handy riss ihn aus seinen Tagträumereien. Sanders, der sich für Brandt entschuldigte und wortreich zu erklären begann, wie das andauernde Switchen zwischen Realität und Fiktion ihn selbst auch schon in unangenehme Situationen gebracht hatte, zum Beispiel, als er sich in einer Kölner Kneipe für … „Erzählen Sie mir das bitte ein anderes Mal“, würgte Schäfer den Drehbuchautor ab, „ich bin bei der Arbeit“.
„Das Leben ist so kurz“, wandte er sich nach ein paar Minuten der Innenschau seiner Katze zu, die friedlich auf dem Beifahrersitz schnurrte. Fünfzehn Minuten später war er in Freikirchen. Die Größe des Graber’schen Grundstücks gab dem Motiv Alleinerbe nun doch etwas Nahrung. Das Haus stand auf einer leichten Anhöhe – unverbaubarer Blick –, mitsamt der zugehörigen Grünfläche könnte ein Immobilienmakler ohne Übertreibung Anwesen in eine Verkaufsanzeige schreiben. Im Hintergrund ragte wie beschützend ein freundlicher Mischwald in die Höhe, Vogelgezwitscher, fehlte nur noch eine zahme Rehfamilie.
„Major Schäfer“, sagte Simon Graber überrascht und lächelte, „ich hätte nicht geglaubt, dass ich Sie so schnell wiedersehe.“
„Ich war in der Gegend …“
„Und da haben Sie gedacht, Sie schauen einfach mal einen Sprung vorbei …“
„Ja“, erwiderte Schäfer. Verdammt, wie war er auf so eine stereotype Erklärung verfallen.
„Na dann, kommen Sie herein“, meinte Graber freundlich.
„Gerne.“ Schäfer folgte Graber ins Haus und blieb im Eingangsbereich stehen. Aufgeräumt. Keine hängen gelassene Winterkleidung an der Garderobe, nur zwei Paar Schuhe, ein mannshoher Spiegel mit Goldrahmen zeigte
Weitere Kostenlose Bücher