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Escape

Escape

Titel: Escape Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Rush
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Dingen an, die dich ärgern. Was hältst du davon? Wut oder Genervtheit lassen sich viel leichter anzapfen als andere Gefühlsregungen.«
    Als ich mich an jenem Abend in mein Zimmer zurückzog, schlug ich einen Zeichenblock auf und starrte auf das leere Blatt. Was ärgerte mich? Dass meine Mutter tot war, klar, aber ich brauchte etwas Neues, Unverbrauchtes.
    Dann ging mir plötzlich ein Licht auf: Nick. Nick ärgerte mich.
    Und schon bewegte sich der Stift in beängstigendem Tempo über das Papier. Während ich zeichnete, spürte ich ein Brennen im Arm, ein Kribbeln in den Fingerspitzen, so als würde sich mein Zorn auf die Seite übertragen.
    Am Schluss hielt ich die beste Zeichnung in den Händen, die ich je zustande gebracht hatte. Nick stand mitten auf einer verlassenen Straße. Um ihn herum lagen Scherben, der Inhalt der Flaschen in alle Richtungen verteilt. Nick schaute mit stechendem Blick von dem Papier. Ich war so stolz auf diese Zeichnung, dass ich fast in Erwägung zog, sie ihm zu zeigen. Doch er würde sich dadurch vermutlich nur angegriffen fühlen oder sie aus Prinzip hassen.
    Trev zeigte ich sie jedoch in der folgenden Nacht. Er schaute vom Blatt zu mir und nickte anerkennend. »Na, siehst du«, sagte er mit gedämpfter Stimme, damit die anderen ihn nicht hörten und die Zeichnung zwischen uns bleiben würde. »Wenn du weiter so malst, wirst du die neue Vanessa Bell.«
    Ich schnaufte höhnisch, strahlte aber innerlich über dieses Kompliment. Vanessa Bell war eine großartige Malerin gewesen und gehörte zu meinen Lieblingskünstlerinnen. Noch dazu war sie die ältere Schwester von Virginia Woolf, die wiederum Trevs Lieblingsschriftstellerin war. Ein schöneres Kompliment konnte er mir gar nicht machen.
    Danach veränderten sich meine Bilder. Zum Besseren.
    Nun knöpfte ich mir also das Tagebuch meiner Mutter vor und starrte schier endlos auf die leere Seite. Manchmal fing ich wie von selbst an zu zeichnen, dann wiederum brauchte ich eine irgendwie geartete Starthilfe. Natürlich konnte ich mich nicht immer darauf verlassen, dass Trev mich anspornte. Deshalb schnappte ich mir nun eins der Reisemagazine von meiner Kommode und blätterte zwischen den Hochglanzseiten hin und her. Schließlich stieß ich auf eine Doppelseite mit der Aufnahme eines idyllischen italienischen Dorfs.
    Ich fing an, die Häuser zu skizzieren, dann fügte ich die Schatten hinzu, die die alten Straßenlaternen warfen. Dazu zeichnete ich ein typisch italienisches Cafe mit kleinen Tischen für zwei Personen, darüber verbeulte Markisen, auf den Fensterbrettern Blumenkästen, die vor Blumen überquollen, und davor Fahrräder mit Körben.
    Ehe ich mich versah, hatte ich mich selbst hinzugemalt, wie ich über das Kopfsteinpflaster spazierte, Sam neben mir. Ich fuhr mit dem Finger über die Linien und verschmierte sie damit.
    Ich ertappte mich häufig dabei, solche Fantasien aufs Papier zu bringen, in denen Sam nicht mehr im Labor eingesperrt und ich nicht mehr seinetwegen daran gebunden war. Mit meinem Bleistift konnte ich uns beide befreien.
    Was würde Sam wohl mit seinem Leben anstellen, wenn er die Wahl hätte? Hatte er an diesem Experiment teilnehmen wollen? Wollte er wirklich der ideale Soldat sein, um seinem Vaterland zu dienen?
    Und was wollte er jetzt, wo er sich nicht mehr an die Gründe erinnern konnte, die ihn hierhergeführt hatten?
    Ich schnappte mir das Magazin und machte mich auf den Weg nach unten. Auf Zehenspitzen schlich ich durch das Wohnzimmer, um Dad nicht zu wecken. Kaum hatte ich den Code eingetippt, öffnete sich die Automatiktür zum Labor.
    Es war fast zehn und in keiner der Parzellen brannte Licht. Zögernd blieb ich am Ende des kurzen Flurs stehen. Plötzlich empfand ich das Magazin in meiner Hand als lächerliche Ausrede. Ich wandte mich wieder zum Gehen.
    Dann ging hinter mir ein Licht an, also drehte ich mich doch wieder um.
    Sam stand hinter der Scheibe. Barfuß, kein Hemd, nur die übliche graue Schlabberhose. »Hallo, Anna«, sagte er, doch allein diese zwei Worte klangen unsicher, irgendwie schwer. Er ließ die Schultern hängen. Als ich einen Schritt auf ihn zu machte, kratzte er sich am Kinn und schaute auf den Boden.
    War Sam etwa... angespannt?
    »Hallo.«
    »Ich möchte mich wegen vorhin entschuldigen. Ich hätte dich nicht so anblaffen sollen.«
    Ich verschränkte die Arme, wodurch das Magazin zerknitterte. »Ist nicht weiter schlimm.«
    Er nickte und deutete dann zu der Zeitschrift. »Was hast

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