Escape
ihn zu knacken.
Kaum entriegelte die Sicherung, sprang eine Schublade quietschend ein Stück heraus und ich erstarrte. Lauschte. Doch im Haus blieb es still, abgesehen vom Ticken der Uhr über dem Kamin.
Sams Akten befanden sich in der zweiten Schublade. Fünf große grüne Mappen, in denen jeweils mehrere kleinere Mappen steckten, standen hintereinander. Ich nahm die zwei letzten und setzte mich damit auf das Ledersofa.
Weil die erste nichts wirklich Interessantes bot - nur allgemeine Protokolle und Tabellen -, ging ich gleich zur zweiten über. Darin fand ich ein paar wenige Hinweise über Sams Verhalten zu Beginn des Experiments.
Einzelne Notizen auf losen Blättern, in einer kaum leserlichen Handschrift, die ich nicht kannte:
Sam verhält sich äußerst aggressiv und unkooperativ gegenüber jedem, der am Projekt beteiligt ist.
An anderer Stelle:
Sam hat sofort die Funktion des Anführers übernommen. Die anderen haben dies ohne Weiteres akzeptiert. Diese Eigenschaft muss weiter isoliert werden, um sie für künftige Gruppen replizierbar zu machen.
Ich überflog die nächsten Seiten, bis mein Blick an etwas hängen blieb.
Sam ist erneut ausgebrochen. Alle zuständigen Einrichtungen wurden alarmiert. Mögliche Decknamen: Samuel Eastlock, Samuel Cavar, Samuel Bentley.
Sam war geflohen? Aus welchem Grund? Und öfter als einmal?
Offensichtlich reichte sein Verhältnis mit der Sektion noch viel weiter zurück, als ich angenommen hatte. Da ich vermutete, hier auf einer guten Spur zu sein, durchblätterte ich den Stapel Papiere nun gezielt nach dem Namen einer Stadt oder etwas anderem Konkreten, das ich Sam über sein früheres Leben erzählen konnte.
Sam und Truppe in Port gefunden. OP ALPHA erst mal gelöscht. Wiederaufnahme erfolgt bald.
Port. Hatte Sam nicht gesagt, dass er Wasser mochte? Aber wofür stand OP ALPHA?
Ich vertiefte mich erneut in die Papiere und eine Stunde später hatte ich mich durch zwei weitere Mappen gekämpft, ohne jedoch etwas vorweisen zu können außer einer Menge neuer Fragen. Ich war gerade aufgestanden, um mir noch eine Mappe zu holen, als das Sofa im Wohnzimmer knarzte. Dad.
Ich schnappte mir den Stapel Akten von der Ledercouch, brachte sie schnell in Ordnung und lief zum Schrank, um sie wieder zurückzustecken. Aus Versehen öffnete ich jedoch die falsche Schublade, die dritte von oben. Sofort fiel mir eine leere Mappe ins Auge, auf der sich noch ein Aufkleber befand.
o'brien stand darauf.
Dad hustete.
Ich legte Sams Akten an ihren Platz zurück und achtete darauf, ob das Schloss auch wirklich einrastete, als ich die Schubladen wieder langsam zuschob. Auf Zehenspitzen schlich ich die Treppe hinauf und gelangte ohne das kleinste Geräusch in den ersten Stock. Dort erst wagte ich es, wieder Luft zu holen.
Dad sah zwar abends nicht mehr nach mir, dennoch zog ich mir schnell meinen Schlafanzug an und stieg ins Bett. Die Decke fühlte sich kühl an. Ich lag noch eine ganze Weile lang wach und starrte an die Decke. Sams Akte ging mir einfach nicht aus dem Kopf.
Wieso hatte ich überhaupt nach Antworten suchen müssen? Wieso hatte Dad ihm nicht längst alles erzählt, was er wusste?
Es konnte natürlich sein, dass die Sektion Sam bewusst seine Vergangenheit vorenthalten wollte. Dann verstieß ich gegen die Firmenregeln, wenn ich ihm Einzelheiten verriet.
Es widerstrebte mir, gegen Dads Vorgaben zu handeln, aber Sam verdiente es doch, über seine Vergangenheit Bescheid zu wissen, oder etwa nicht?
5
Ich hatte meinen Wecker auf sechs Uhr gestellt, damit ich schnell ins Labor huschen konnte, noch bevor Dad aufstand. Ich musste den Wecker jedoch unbewusst ausgeschaltet haben, denn ich wachte erst nach acht auf. Als ich mich endlich auf den Weg nach unten machte, war Dad ganz offensichtlich schon im Labor. Darüber war ich sogar ein bisschen erleichtert, ich wusste nämlich immer noch nicht, wie viel ich Sam wirklich erzählen wollte.
Mit knurrendem Magen schob ich ein paar Scheiben Brot in den Toaster. Dann warf ich eine Tablette Ibuprofen ein und massierte meinen immer noch schmerzenden Rückenmuskel. Der Schlafmangel der vorletzten Nacht hatte mir nicht unbedingt gutgetan und bis zum nächsten Kampftraining waren es nur noch ein paar Tage. Den Kurs machte ich schon seit ein paar Jahren und mein Kampftrainer gehörte nicht gerade zu der Sorte, die ihre Schüler in irgendeiner Weise schonten.
Wobei das kein Grund zum Jammern war. Wenn ich vom Training kam, fühlte ich mich
Weitere Kostenlose Bücher