Escape
gegenüberstehst?«, fragte ich.
Trev antwortete, ohne zu zögern. »Ich würde mir alles einprägen - ihr Aussehen, ihren Geruch -, damit sie, falls ich sie je wieder verlieren sollte, trotzdem immer bei mir bleiben würde.«
Es gab so vieles, das ich nicht von meiner Mutter wusste. Sie war ein ähnlich großes Mysterium für mich wie Sam. Auch wenn ich ihr Tagebuch besaß, war es kein Ersatz.
Ich wollte, dass es wahr war. Ich wollte, dass sie lebte. Ich wollte diese zweite Chance haben, die Chance, sie zu treffen. Sie in mein Gedächtnis zu zeichnen und mir für immer einzuprägen.
***
»Sollten wir uns nicht allmählich eine Bleibe für die Nacht suchen?«, fragte Trev, der sich gerade den letzten Twinkie mit Cas teilte.
»Erst muss noch ein bisschen mehr Abstand zwischen die Polizei und uns«, antwortete Sam. »Aber wir nehmen uns bald ein Zimmer.«
»Wie wäre es, wenn wir uns dann mal übers Essen unterhalten?«, sagte Cas. »Mir schwebt da etwas vor, das mit Eis anfängt und mit Creme aufhört.«
Uns kam ein Wagen entgegen, die Scheinwerfer beleuchteten Sams Gesicht. Kurz darauf passierten wir ein Schild, demzufolge wir uns auf dem Weg nach Brethington befanden.
Ich drehte mich so, dass ich Cas auf der Rückbank sehen konnte. »Denkst du je an etwas anderes als ans Essen?«
Er zuckte mit den Schultern. »Nein. Wieso?«
»>Den Körper gesund zu halten ist eine Pflicht -<«, zitierte Trev einen seiner Sinnsprüche. »>Weil wir sonst nicht in der Lage sind, die Lampe der Weisheit zu schüren und unseren Geist stark und klar zu halten.<«
Cas schnaufte abfällig. »Von wem ist das denn? Dem ollen Dalai Lama?« »Buddha.«
»Aha. Und hat nicht George Washington gesagt: >Sei vorsichtig mit medizinischen Ratgebern. Du könntest an einem Druckfehler sterben«
»Oh, Respekt«, sagte ich.
Trev seufzte. »Das ist von Mark Twain.«
»Da lag ich doch fast richtig.« Cas verschränkte die Arme.
Ich tippte ihm ans Knie. »Was würden wir nur ohne dich machen?«
»Vor Langeweile sterben.«
»Oder die Stille genießen«, fügte Trev hinzu, der schon wieder aus dem Fenster schaute.
***
Es war bereits nach neun, als wir den Freeway verließen und ein kleines Dorf ansteuerten. Wir hielten beim erstbesten Hotel, einem einfachen Etablissement, das direkt an eine Einkaufsmeile anschloss. Trev und ich kümmerten uns ums Einchecken und bewiesen viel Fantasie bei der Namens- und Adressangabe. Das klappte bestens, weil wir dem Mitarbeiter an der Rezeption ein paar Extrascheinchen zugeschoben hatten.
Die anderen erwarteten uns am Seiteneingang. »Zimmer 220 und 222.« Trev hielt die Schlüsselkarten hoch. »Wie teilen wir uns auf?«
Sam nahm eine der Karten. »Anna und Cas kommen mit mir.«
Trev sah mir in die Augen. »Ist das in Ordnung für dich?«
»Ähm -«
»Anna kommt mit mir«, wiederholte Sam.
Trev hob die Hände. »Schon gut, beruhig dich.«
Die anderen betraten bereits das Treppenhaus. Ich schob mich an Sam vorbei, damit ich ihm in der Tür den Weg verstellen konnte. »Was sollte das denn? Trev war umsichtig genug, mich nach meiner Meinung zu fragen. Etwas, das dir ganz offensichtlich schwerfällt.«
Er beugte sich zu mir und senkte die Stimme. »Ich habe deinem Vater versprochen, auf dich aufzupassen. Das kann ich schlecht machen, wenn du nicht im gleichen Zimmer bist wie ich.«
Ich runzelte die Stirn. »Ich glaube nicht, dass Dad das so gemeint hat.«
»Wie denn dann?«
Wollte mein Vater, dass Sam mich vor allem beschützte? Selbst vor den anderen Jungs? »Ach, egal«, sagte ich. Ich war zu müde, darüber zu diskutieren, was mein Vater gemeint haben könnte. Mal ganz davon abgesehen, dass ich nicht mal sicher war, je zu erfahren, wieso er mich überhaupt fortgeschickt hatte.
Eine leise Stimme meldete sich in meinem Kopf und mutmaßte, er hatte vielleicht gewollt, dass ich meine Mutter treffe. Wahrscheinlich wusste er ziemlich genau, zu wem er uns geschickt hatte und warum. Doch wieso hätte er mich all die Jahre anlügen sollen? Aus welchem Grund hätte er mich von ihr fernhalten wollen?
Ich verbannte diesen Fragenwust aus meinem Kopf und zog die Eingangstür auf. Ein dunkelroter Teppich dämpfte unsere Schritte auf den Stufen nach oben. Nick und Trev waren bereits in ihrem Zimmer, als Sam und ich zu Cas stießen, der vor unserer Tür wartete.
Sam ließ mich vorgehen. In der einen Hand hielt ich Moms Tagebuch, mit der anderen suchte ich nach dem Lichtschalter. Es gab zwei
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