Escape
ebenfalls auf, stemmte die Hände in die Hüften. »Ist es so verwunderlich, dass ich mich wehre, wenn ich mich wehren muss? Dafür lasse ich mich von dir nicht verurteilen. Mir hat es gutgetan. Ich habe mich stark gefühlt. Das kannst du mir nicht wegnehmen. Endlich haben sich die vielen Kampfstunden bezahlt gemacht.«
»Anna, was ich da gesehen habe, war mehr als normales Kämpfen.« Er stellte sich ganz gerade hin, zeigte auf seine Brust. »Du hast es genau hier gespürt, oder? Irgendwas, das tiefer geht als ein Instinkt.«
Ich hatte nicht die Zeit gehabt, mir Gedanken zu machen, wo das Gefühl hergekommen war, aber er hatte recht.
»Das beunruhigt mich«, sagte er, weil er meine Antwort schon kannte, bevor ich sie überhaupt hatte aussprechen können. »Weil das bei mir genauso ist.«
»Wie bitte?« Ich versuchte zu verstehen, was er da gerade gesagt hatte. »Und die anderen -«
Er nickte.
»Aber -«
Er warf den Lappen in einen Abfalleimer in der Nähe der Tür und fing an, unruhig auf und ab zu laufen. »Hast du Riley oder Connor je außerhalb des Labors getroffen?«
Ich legte die Stirn in Falten. »Was willst du denn damit sagen? Nein. Nie.«
Er seufzte, wieder zeigte sich ein Riss in seiner sonst so harten Schale, ein winziger und kaum wahrnehmbarer Hinweis auf seine Gefühle. »Gab es je etwas, das sie mit dir besprochen haben, was nicht mit dem Labor zu tun hatte?«
»Nein.«
»Anna, denk nach.«
Ich führte mir all die Besuche von Riley und Connor vor Augen, die sie unserem Farmhaus abgestattet hatten. Riley kam vielleicht zehnmal pro Jahr vorbei, Connor noch seltener. Normalerweise hielten sie sich nicht mit mir auf, sondern steuerten gleich das Labor an, um ihre Jungs zu begutachten - oder, so wie sie sie immer genannt hatten, die »Einheiten«.
Doch, ein einziges Mal war ich mit einem von ihnen allein...
»Warte mal«, sagte ich.
Sam blieb stehen.
»Drei Tage nachdem ich euch im Keller entdeckt hatte, tauchte Connor unangemeldet auf. Da war Dad gerade beim Einkaufen. Er setzte sich mit mir an den Esstisch und erklärte mir, dass ich mich erst im Labor aufhalten durfte, wenn ihr bereit wärt.« Immer mehr Fetzen tauchten in meiner Erinnerung auf. »Ein paar Jahre später war er zu einem seiner regulären Besuche da. Ich erinnere mich daran, dass er mit meinem Vater vor dem Haus stand. Sie flüsterten zwar, aber es war offensichtlich, dass sie sich stritten. Und Connor hat definitiv meinen Namen gesagt.«
»Was noch?«
»Das weiß ich nicht, dafür stand ich nicht nah genug bei ihnen. Aber noch am gleichen Abend bat Dad mich darum, ihn im Labor zu unterstützen.«
Sam dachte einen Augenblick lang nach. »Vielleicht hat Connor deinem Vater befohlen, dich dort zu beschäftigen.«
»Aber warum?«
»Keine Ahnung.«
Ein Wagen näherte sich dem Haus. Sam huschte zum Fenster. »Das ist Cas«, sagte er erleichtert.
Als Cas einen Moment später das Wohnzimmer betrat, erschrak ich, weil er so schlimm aussah. In der einen Stunde, die sie unterwegs gewesen waren, hatte sich ein dunkler Ring um sein linkes Auge gebildet und ein großer blauer Fleck prangte auf seiner rechten Wange.
Nick und Trev war es besser ergangen, was aber auch nicht weiter verwunderlich war. Cas gehörte zu der Sorte Mensch, die sich mitten ins Getümmel warfen, ohne vorher groß nachzudenken. Deshalb überraschte es nicht, dass er mehr Schläge eingesteckt hatte als die anderen.
»Ich hoffe ja mal, dass da noch Wasser im Warmwasserspeicher ist«, sagte er. »Ich will duschen, mir tut einfach alles weh.« »Lass Anna den Vortritt«, sagte Sam.
Trev warf mir sofort einen Blick zu. »Alles in Ordnung?«
Ich nickte, dabei stimmte das ganz und gar nicht. Sam hatte offensichtlich eine Vermutung und versuchte, die Puzzleteile zu einer Theorie zusammenzufügen. Deshalb hatte er mich nach Connor und Riley gefragt.
Wenn ich nur wüsste, in welche Richtung seine Gedanken gingen.
»Na schön«, maulte Cas. »Dann werde ich stattdessen halt was essen.«
Jede Zelle meines Körpers tat weh und ich wollte nichts lieber, als Debbie, Pitch und die Ereignisse in der Garage von mir abspülen. Doch die Art, wie Sam meinem Blick auswich, verriet mir nur zu deutlich, weshalb er mich zuerst duschen schickte.
Er wollte mit den anderen über mich sprechen.
***
Das Wasser war richtig schön heiß, doch anstatt unter die Brause zu steigen, blieb ich an der Badezimmertür stehen, ein Ohr an das Holz gepresst. Ich konnte kaum verstehen, was
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