Escape
Die ganze Anspannung fiel mit einem Mal von mir ab.
»Hey.« Schon war Trev an meiner Seite und nahm meine Hand, während ich mir einen Stuhl suchte. »Das muss ja nicht zwangsläufig irgendwas bedeuten. Und wir setzen dich auf keinen Fall irgendwo aus.«
Ich wünschte mir sehnlichst, dass Sam und Cas irgendwie zustimmen würden. Doch das taten sie nicht. Sie sagten kein Wort.
Hielt auch Sam mich für ein Instrument der Sektion? War ich ein Instrument von ihnen? Aber wie? Und warum? Das ergab doch alles keinen Sinn. Nichts davon ergab einen Sinn.
Sams Blick ruhte auf meiner Hand, die in Trevs lag. Er schloss kurz die Augen. »Wie wäre es, wenn du jetzt duschen gehst?«
Angestrengt unterdrückte ich ein Schluchzen. Er traute mir nicht.
Trev begleitete mich bis zur Treppe. »Ich komm kurz mit.«
Das heiße Wasser lief noch immer und hatte das kleine Bad mit Dampf gefüllt.
»Nimm dir das nicht so zu Herzen. Wir sind alle ein bisschen überspannt.«
Ich senkte den Kopf. Wie sollte ich mir das denn nicht zu Herzen nehmen? Keiner von uns verstand doch, was hier vor sich ging. Als wir noch im Labor waren, hatte ich das Gefühl gehabt, etwas Gutes zu tun. Als würde ich dabei helfen, die Welt zu verbessern. Doch nun regten sich in mir nur noch Scham und Schuld. Die Jungs hatten jedes Recht, mir zu misstrauen. Nichts war, wie es schien. Vielleicht war jedes noch so kleine Detail meines Lebens eine Lüge. Vielleicht sogar alles, was ich über das Programm zu wissen glaubte.
»Anna?« Trev fuhr mit seinen Fingern über meine Wange, schob mir seinen Daumen unters Kinn und hob meinen Kopf an. »Die klammern sich an Strohhalme.«
Ich warf mich praktisch an ihn, schlang ihm die Arme um den Hals. Er zögerte kein bisschen, sondern erwiderte meine Umarmung sofort. Was würde ich nur ohne Trev machen? Er war mein bester Freund. Loyal. Zuverlässig. Er holte mich immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Und das hatte ich gerade nötiger als alles andere.
»Fällt dir gerade ein Spruch ein, der mich aufbauen könnte?«, fragte ich, während ich mich von ihm löste. »Deine Zitate helfen immer.«
Er lachte und fuhr sich beim Nachdenken mit dem Finger über die Lippen. Sein Gesicht verriet wie immer, wann ihm das Licht aufging. »>Vertrauen in sich selbst zu haben, ist der beste und sicherste Kurs.< Michelangelo.« Er sah zu mir hinunter, seine braunen Augen schwer vor Erschöpfung und trotzdem ganz bei der Sache, ganz bei mir.
»Danke«, sagte ich.
»Keine Ursache. Und lass dir Zeit. Du hast ja eh nur so lang, bis das warme Wasser ausgeht. Ich warte hier draußen auf dich.«
Mit diesen Worten ließ er mich allein. Auf dem Weg in die Dusche erhaschte ich einen kurzen Blick auf mein beschlagenes Spiegelbild. Ein blauer Fleck schillerte unter meinem linken Auge. Eine tiefe Schramme zog sich über mein Schlüsselbein. Meine Lippe war an zwei Stellen aufgeplatzt und ein Kratzer befand sich an meiner rechten Schläfe, wo Blut meine blonden Haare dunkel verfärbt hatte.
Ich war ganz schön zugerichtet. Und ich wollte einfach alles Geschehene vergessen. Ich stellte mich unter den Duschkopf und das Trommeln des Wasserstrahls auf meinem Kopf übertönte irgendwann meine Gedanken.
22
Später am gleichen Abend lag ich im Bett und analysierte bis ins letzte Detail, wie das Licht des Mondes auf die Bäume vorm Fenster fiel, in der Hoffnung, dass dieses Malen in Gedanken alles andere vertreiben würde, was mir sonst noch im Kopf herumspukte. Doch es gelang nicht.
Jetzt war mir klar, warum Sam wissen wollte, ob ich Connor mal außerhalb des Labors getroffen hatte. Er fragte sich, wieso einer der Agenten auf dem Parkplatz beim Einkaufszentrum gefordert hatte, mich als Erste zu schnappen. Wieso ich für die Sektion eine so große Rolle spielte. Nick war nicht der Einzige, der mir misstraute. Aber wie sollte ich den Jungs klarmachen, dass ich nicht zu den Bösen gehörte? Dass sie mir so nah waren wie Familienmitglieder?
Der Wind fuhr durch die Bäume und verwischte so die Zeichnung, die in meinem Kopf entstehen wollte.
Eine Diele knarrte und sofort schnellte ich hoch. Sam stand in der Tür, halb im Schatten verborgen. Er trug eine Jeans, ein T-Shirt und Stiefel. Seit wir uns in diesem Haus aufhielten, war er stets voll bekleidet gewesen. Für den Fall, dass wir überstürzt fliehen mussten. Ich schlief in einem übergroßen T-Shirt, das ich von Trev stibitzt hatte. Darunter trug ich nur einen BH und eine Unterhose. Und
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