Escape
Deine Mutter und ich -« Er brach ab. »Ich meine, Sura und ich... Wir waren zwar schon eine ganze Weile geschieden, aber sie war trotzdem noch ein großer Teil meines Lebens. Plötzlich gab es dann wieder viel Streit zwischen uns... Jedenfalls wollte ich so weit wie nur möglich weg von allem. Als ich von dem Projekt in dem Farmhaus hörte, habe ich gleich zugesagt, ohne Näheres darüber zu wissen.«
Er strich sich mit der Hand die immer grauer werdenden Haare glatt. »Dann kamst du dazu -« Sein Kopfschütteln ließ die Haare sofort wieder durcheinanderfallen. »Tja, zu dem Zeitpunkt saß ich bereits zu tief drin. Ich habe nicht gedacht, dass du es jemals herausfindest. Oder zumindest nicht so.«
»Riley hat gesagt, dass ich auch genetisch verändert wurde. Ist das wahr?« Dad schaute mich betrübt an und nickte dann zustimmend. »Wann habe ich denn meine Medikamente bekommen?«
»Viermal pro Monat.« Er beobachtete mich abwartend, bis ich verstand, was er meinte.
»Die selbst gemachte Limonade.« Das, was ich für unsere einzige Familientradition gehalten hatte, war in Wirklichkeit mein Wirkstoffcocktail gewesen. Sam und die anderen hatten Entzugserscheinungen, seit wir aus dem Labor geflohen waren. Mich hatten Kopfschmerzen geplagt, aber ich dachte, das käme von der Überanstrengung.
Dad fuhr fort. »Die Veränderungen, die bei dir vorgenommen wurden, waren vergleichsweise gering. Ich schätze, du bist stärker als ein durchschnittliches Mädchen deiner Größe. Hauptsächlich wurde eine Verbindung zwischen dir und den Jungs hergestellt, die selbst ich nicht verstehe, geschweige denn erklären kann. Aber sie müssen dir und deinen Anweisungen ausnahmslos folgen.«
»Und Trev? Ist der genauso verändert worden wie die anderen? Habe ich auch ihn in meiner Gewalt?«
»Wieso fragst du das?«
Ich berichtete ihm davon, dass Trev uns verraten hatte. Diese Information traf ihn genauso wie mich.
»Wow. Das habe ich nicht gewusst. Trevs Behandlung war anders, das stimmt. Ich dachte, die probieren an ihm ein neues Mittel aus und testen, wie er mit dir und den anderen interagiert. Ich hätte niemals für möglich gehalten, dass er für die Sektion arbeitet.«
»Es erklärt aber auch einiges. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass er je auf mich gehört hat, wenn es ihm grad nicht in den Kram passte. Die Sektion wird dafür gesorgt haben, dass ich ihn nicht kontrollieren kann.« Ich rieb mir mit den Handballen die Augen. »Wieso wollten sie die Jungs denn eigentlich abholen?«
»Sie sollten in eine andere Einrichtung verlegt werden, und zwar ohne dich. Die Sektion wollte testen, wie die Verbindung zwischen euch auch über mehrere Bundesstaaten hinweg funktioniert. Das war der ultimative Test für das Projekt, Connor wollte noch einmal an die Grenzen gehen, bevor -«
»Bevor er es zum Verkauf anbot.«
Dad seufzte. »Da habe ich mich immer rausgehalten. Mir hat der wissenschaftliche Teil Spaß gemacht. Früher zumindest.«
Er hielt den Strohhalm zwischen Zeige- und Mittelfinger. »Ich wusste, was er vorhatte.«
Ich schaute auf. »Was?«
»Sam. Ich wusste, dass er seine Flucht vorbereitet hat. Mit den Strohhalmen. Ich wusste es.« Mit der anderen Hand massierte er nun seine Nasenwurzel. »In all den Jahren, in denen ich die Jungs im Keller festgehalten habe, gab es keinen Tag, an dem ich nicht darüber nachgedacht habe, sie und dich laufen zu lassen.
Ich habe lange gebraucht, bis ich akzeptiert habe, was ich da überhaupt mache. Dass Sam und die anderen sich an nichts erinnern konnten, hat mir die Sache ein bisschen erleichtert. Genau wie du. Du hast mich immer auf andere Gedanken gebracht. Wenn ich aus dem Labor kam, warst du da und ich konnte die Jungs wirklich mal vergessen.« Dad machte es sich auf dem Sessel in der gegenüberliegenden Zimmerecke bequem, die Ellbogen auf die Lehnen gestützt. »Ich schulde euch was. Euch allen. Ich würde das gern irgendwie wiedergutmachen. Ganz ehrlich.«
»Wir müssen sie befreien«, sagte ich. »Sam und Cas.«
Dad schüttelte den Kopf. »Anna, das wird nicht gehen, fürchte ich. Die Sektion wird ihnen wieder das Gedächtnis löschen, und was Sam angeht -« Er schüttelte erneut den Kopf.
»Was?«
»Bei Sam sind sie an ihre Grenzen gestoßen. Sein Gedächtnis haben sie schon so oft manipuliert, öfter als bei den anderen. Er hatte selbst im Labor noch Erinnerungsschübe. Die habe ich aber nicht erfasst, weil ich nicht wusste, was sie ihm dann noch antun würden.
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