Escape
Ich fürchte, ohne die Blocker werden die Schübe nur noch schlimmer -«
Mir wurde eiskalt.
Dad muss meinen Gesichtsausdruck richtig gedeutet haben, denn sofort fragte er: »Sie sind bereits schlimmer geworden, nicht wahr?«
»Was kann denn passieren, wenn sie sein Gedächtnis noch einmal auslöschen?«
Dad wiegte den Kopf hin und her, so als wüsste er zwar die genaue Antwort darauf nicht, nur, dass es nichts Gutes sein konnte. »Am besten mischen wir uns nicht ein. Du bist frei. Nick ist frei. Das allein ist schon mehr, als ich je zu hoffen gewagt hätte.«
Ich stand auf. »Dad, du musst es mir erzählen. Was wird mit ihm passieren?«
»Das ist aber nur eine Theorie«, stotterte er und steckte sich den Strohhalm wieder in den Mund. Nach einer Pause sagte er: »Die Wirkung könnte verheerend sein, könnte ihn unbrauchbar machen. Unkontrollierbar. Unberechenbar. Ich weiß es nicht. Die Folgen könnten zahllos sein.«
Ich atmete stockend und doch tief ein, um die Tränen zurückzuhalten, die sich schon in meinen Augenwinkeln sammelten. »Ich kann ihn nicht einfach seinem Schicksal überlassen.«
»Wir können aber nichts tun.«
Das Ringbuch und die Akten lagen auf dem Tisch am Fenster. Sam hatte gewollt, dass ich sie mitnehme, weil er wusste, wie wichtig sie waren. Sie waren das Einzige, was ich zum Tausch für ihn anbieten konnte. »Vielleicht doch.«
***
Nick wachte mit einem Stöhnen kurz nach zwei in der Nacht auf. Ich hatte mir die Zeit mit Fernsehen vertrieben, wobei ich immer wieder weggedöst war, mich aber alle zehn Minuten wieder weckte, um zu prüfen, ob er noch atmete.
Mit zusammengebissenen Zähnen setzte er sich auf, er schien starke Schmerzen zu haben. »Sam?«, fragte er leise. »Hallo«, sagte ich und ging zu ihm. »Vorsichtig.« Er erkannte mich im Halbdunkel und schon war er wieder angespannt. »Anna.«
»Genau, ich bin's. Du bist angeschossen worden. Du solltest dich am besten wieder zurücklehnen.« Er ächzte. »Ist wahrscheinlich nicht das erste Mal.« »Möchtest du etwas trinken?« »Lieber ein Schmerzmittel.«
Daran hatten wir natürlich auch gedacht. Ich füllte etwas Leitungswasser in einen der Plastikbecher des Motels und drückte ihm zwei Tabletten aus der noch unangebrochenen Packung. Beides reichte ich ihm und betrachtete ihn im Flimmern des Fernsehers, forschte in seinem Gesicht, ob etwas nicht in Ordnung war. Er wirkte okay, aber das hieß ja noch lange nicht, dass das auch wirklich zutraf.
Er warf die Pillen ein und leerte den Becher fast in einem Zug. Dann blickte er sich im Zimmer um. »Wo sind wir?« »In einem Motel in der Nähe von Traverse City.«
»Wer ist das?« Er nickte zu dem anderen Bett, auf dem Dad schlief. Als ich es ihm sagte, senkte er die Stimme und fauchte: »Was will der denn hier?«
»Ich habe ihn angerufen. Du warst bewusstlos und ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte. Mir ist nichts anderes eingefallen.«
»Ist er jetzt auf unserer Seite?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Um ganz ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Aber ich glaube schon.«
»Irgendwas Neues über Sam?«
Ich dachte kurz darüber nach, Nick zu erzählen, was Dad gesagt hatte. Über die Erinnerungsschübe, die möglichen Konsequenzen einer erneuten Gehirnwäsche. Doch das würde Nicks Wut nur schüren. »Bisher nicht. Dad meint, er wird nun endgültig weggesperrt.«
Nick ließ den Kopf sinken. Im Fernsehen wurde zum Werbeblock gewechselt. »Das müssen wir verhindern.«
»Ich weiß.«
»Ich konnte immer auf ihn zählen.«
Im Gegensatz zu deiner Familie , dachte ich. Sam hatte auf uns alle aufgepasst.
Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie er auf unser Vorhaben regieren würde: Vergesst es. Bringt euch stattdessen selbst in Sicherheit, damit ihr Connor und der Sektion nicht in die Hände fallt. Und wenn sie euch je aufspüren sollten, nutzt die Protokolle, um euch freizukaufen.
Aber ich konnte ihn nicht einfach vergessen. Und ich wollte nicht zulassen, dass Connor ihn mit einer weiteren Gehirnwäsche wieder gefügig machte, um ihn zu seinem Vorteil zu nutzen. Außerdem war da ein Schmerz in meiner Brust, der sich nicht verleugnen ließ. So, als würden die paar Stunden, die ich nun schon von Sam getrennt war, mich innerlich zerreißen. Ich konnte unmöglich noch eine weitere Sekunde in diesem Motel stillsitzen. Ich musste los. Sofort.
Als hätte Nick meine Gedanken gelesen, trafen sich plötzlich unsere Blicke. Der Schein des Fernsehers vertiefte das klare Blau
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