ESCORTER (German Edition)
als wollte sie ihn stoppen. »Bleib stehen.«
Gäap erstarrte in der Bewegung. Und nicht nur er. Auch die Leiber im Blutpool erstarrten. Die Zeit selbst schien in Regungslosigkeit zu verharren. Nur David und sie bewegten sich noch.
»Bist du verletzt?«, fragte sie an David gewandt.
Er antwortete nicht sogleich, starrte sie nur mit offenem Mund an. »Wie hast du das gemacht?«
Doreé zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.«
Ihr Blick fiel auf Gäap. Sein Gesicht wirkte verkniffen, Schweißtropfen glänzten auf seiner Stirn, als versuchte er mit aller Macht, sich zu bewegen.
»Wir sollten besser verschwinden«, sagte sie.
»Das sollten wir«, stimmte David zu und ergriff ihre Hand. »Ich bringe dich zum Berg Zion.«
Fragend runzelte Doreé die Stirn. »Warum? Was ist dort?«
Er warf ihr einen kurzen, bedeutungsvollen Blick zu. »Der Weg hier raus.«
* * *
Viele Stunden irrten Doreé und David durch die Stadt, sorgsam darauf bedacht, möglichst nicht oder nur im Flüsterton miteinander zu sprechen. Doreé fühlte sich müde und ausgelaugt, was sich über den Schimmer bemerkbar machte, der mittlerweile kaum mehr als ein bleiches Flimmern war. Ihre Fußspuren nur ein schwacher Widerhall ihrer Schritte, nicht vergleichbar mit den goldenen Abdrücken, die sie am Anfang hinterlassen hatte.
Irgendwann erreichten sie ein unscheinbares Tor, das aussah, wie ein Relikt aus mittelalterlicher Zeit. Vorsichtig traten sie hindurch und fanden sich auf einer riesigen, mit scharfkantigen Felsen überzogenen Ebene wieder. In der Ferne erhob sich eine Gebirgskette, in deren Mitte ein besonders hoher Berg in den Himmel ragte. Der Berg Zion. Auf seiner Spitze leuchtete ein Licht, wie ein überlebensgroßer Leuchtturm wies es ihnen den Weg.
Inmitten der Ödnis huschten schattenhafte Gestalten umher, kletterten geduckt über die scharfkantigen Felsen. Doreé beäugte sie misstrauisch. Sie beachteten sie nicht, ließen durch nichts erkennen, ob sie ihre Anwesenheit bemerkten. In regelmäßigen Abständen richteten die Wesen sich auf, breiteten die Arme aus und verfielen in einen schaurigen Singsang, der Doreé entfernt an alte Indianergesänge erinnerte. Dabei leuchteten ihr blinden Augen in der Dunkelheit wie winzige Scheinwerfer. Die Kleider, zerfetzte Lumpen nur, flatterten um ihre Körper. Sie glichen Schiffbrüchigen, die auf einer kargen Insel gestrandet waren und eine höhere Macht um Rettung anflehten.
Auf Doreés ängstlichen Blick hin legte David beruhigend eine Hand auf ihren Rücken und schüttelte den Kopf. Bleib ganz ruhig, sagten seine Augen. Doreé nickte zum Zeichen, dass sie verstanden hatte. Ungläubig betrachtete sie sein Profil, folgte der Linie seines Kinns über seine Nase bis hinauf zu den Augen. Sein Gesicht hatte sich verändert.
Er hatte sich verändert.
Eine steile Falte furchte seine Stirn und ein verbitterter Zug lag um seinen Mund. Schatten höhlten seine Wangen aus, legten sich über seine Augen wie eine dunkle Ahnung. Er war tot. Das hatte sie gewusst, doch zum ersten Mal erkannte sie es wirklich. Er existierte nur noch in dieser grausigen Welt. Das warf die Frage auf, ob er diesen Ort überhaupt verlassen konnte. Wartete auf dem Berg Zion ihrer beider Rettung oder nur ihre?
David unterbrach ihre Gedanken und deutete nach vorn. Zuerst verstand Doreé nicht, was er ihr zeigen wollte, doch dann sah sie es. Der Weg endete abrupt vor einem Felsen. Wie ein Koloss erhob sich der Berg Zion über die Ebene, so nah und doch viel zu weit entfernt, um ihn querfeldein zu erreichen. Die Steine waren zu scharfkantig, um sie gefahrlos zu überwinden.
»Verfluchter Mist«, rutschte es Doreé heraus.
Schnell schlug sie die Hand vor den Mund und blickte sich hektisch nach den seltsamen Wesen um. Zu ihrer Rechten, nur wenige Meter entfernt, stand eines mit ausgebreiteten Armen auf einem mannshohen Stein und begann seinen Singsang. Die Laute drangen Doreé durch Mark und Bein, so schaurig hörten sie sich an. Ein weiteres Wesen erschien nicht weit entfernt und im Gegensatz zu dem anderen richtete es seine Augen direkt auf sie. Schnell zog David Doreé in den Schatten zwischen zwei Felsen und duckte sich. Eine Gänsehaut rann über Doreés Haut, als der Gesang verstummte. Jeden Augenblick erwartete sie, dass eines der Wesen vor ihr auftauchen und sie angreifen würde.
Hinter sich hörte sie einen schleifenden Laut und das Tapsen von nackten Füßen. Der durchdringende Geruch nach Schmutz und
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