ESCORTER (German Edition)
erleichtert. Im Gegenteil.
»Was hast du?«, fragte sie angesichts seiner besorgten Miene.
Mittlerweile hatten sie die Wegkreuzung erreicht. David hielt inne und sah sich um. Der Boden vibrierte noch immer, was Doreé nun, da sie nicht mehr rannte, umso deutlicher spürte. Ein heftiges Zittern unter den Fußsohlen. Die Seelenjäger hielten sich weiterhin fern. David tippte auf ihre Schulter und deutete auf einen schmalen Pfad, der vom Berg Zion fort in einen Wald aus kahlen Baumstämmen führte.
»Gehen wir nicht nach Babylon zurück?«, fragte Doreé.
»Nein, wir müssen hier weg.« Er wich ihrem Blick aus, während er sprach, was ihre Sorge bestärkte. Sie griff nach seinem Arm. »Du verheimlichst mir doch etwas. Was ist los?«
Er seufzte. »Es ist nichts, Doreé. Lass uns weitergehen.«
Sie glaubte ihm nicht, doch war sie zu erschöpft, um weiter in ihn zu dringen, und so beschloss sie, die Fragerunde auf später zu verschieben.
Der Pfad, dem sie folgten, war so schmal, dass sie nur hintereinandergehen konnten. Immer tiefer führte David sie in diesen seltsamen Wald, der nur aus hohen, glatten Bäumen bestand. Kein einziges Blatt wuchs an den Ästen. Unbehaglich sah Doreé sich um. In der Gegenwelt schien es alles zu geben, was es auch in der Menschenwelt gab. Städte, Berge und Wald. Und doch war alles anders. Leblos, düster und grau zeigte sich diese Welt. Ein geisterhaftes Abbild nur. Unbeseelt wie ein vom Krieg verwüstetes Land.
»Warum wächst hier nichts?«, wollte Doreé wissen.
David hielt den Finger an die Lippen und warf einen bangen Blick in die Runde. »Sei still, auch hier treiben sich Dämonen herum.«
Besorgt spähte Doreé zwischen die Bäume, sah aber nichts, was auf die Anwesenheit von Dämonen hingedeutet hätte. Einzig das Vibrieren des Bodens verstärkte sich, was David noch nervöser zu machen schien, denn nun ergriff er ihre Hand und zerrte sie ungeduldig weiter.
Doreé warf einen Blick über die Schulter und erschrak.
»David, was ist das?« Aufgeregt deutete sie in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Drei riesige Gestalten stampften auf die Kreuzung zu. Aus der Entfernung konnte Doreé sie nicht genau erkennen, doch sie waren mindestens doppelt so groß wie ein erwachsener Mann und ebenso breit. Auf den Köpfen trugen sie Helme mit schnabelförmigen Masken und breite Platten auf den Schultern. Angeführt wurden sie von Gäap, dem geflügelten Hengst.
Fluchend zog David Doreé hinter einen Baum. Doreés Herz hämmerte gegen ihre Rippen. »Was sind das für Wesen?«
»Es sind Nephilim. Mischwesen, gezeugt von einem mächtigen Dämon mit einer Menschenfrau. Sie verlieren nie eine Fährte, haben den Geruchssinn von zehn Wölfen und sind unglaublich stark.«
Doreé schluckte trocken. »Wir stecken in der Scheiße, oder?« Ihre Stimme war ganz dünn vor Angst.
David nickte. Die Härte verschwand aus seinem Blick. Liebevoll strich er eine Haarsträhne hinter ihr Ohr und legte dann seine Hand an ihre Wange, als wollte er sich mit allen Sinnen ihre Konturen einprägen. »Ich werde dich nicht deinem Schicksal überlassen, Doreé. Das werd’ ich nicht, versprochen.«
Unvermittelt musste sie schluchzen. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie weinte. Sie hob den Arm und besah sich ihre Hand. »Warum kommt der Schimmer nicht? In der Seelenkammer hat er mir geholfen. Jetzt fühle ich mich einfach nur schwach.«
»Deine Kraft ist verbraucht«, erwiderte David, »entweder hast du dich verausgabt oder bist schon zu lange hier.«
Erschöpft schloss Doreé die Augen. Es gab keinen Ausweg aus dieser Hölle, hatte es nie gegeben, das erkannte sie jetzt. Sie musste sich in das Unvermeidliche fügen.
»Gib nicht auf«, hörte sie David sagen, während er ihr eine Träne von der Wange strich. Es war der denkbar ungünstigste Augenblick, doch wahrscheinlich war es der einzige, der ihnen noch blieb. Doreé hatte geglaubt, David für immer verloren zu haben, doch er war ihr bis in die Hölle gefolgt. Hatte sogar seinem Herrn abgeschworen, um bei ihr zu sein. Sie sollte die letzten gemeinsamen Augenblicke nicht ungenutzt verstreichen lassen. Entschlossen legte sie die Hände um seinen Hals, zog ihn zu sich heran und presste ihre Lippen auf die seinen. Er wehrte sich nicht, im Gegenteil. Es schien, als hätte er schon seit einer Weile auf diesen Kuss gewartet, auf ihre Berührung, auf das Zeichen, dass sich ihre Gefühle für ihn nicht geändert hatten.
Ich küsse einen Toten , schoss
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