ESCORTER (German Edition)
jeder stand eines dieser Fässer auf genau derselben Plattform.
»Was ist das?«, fragte Doreé und deutete in die Runde. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Der Anblick schnürte ihr die Kehle zu.
»Das sind die sündigen Seelen, aufbewahrt in Schatullen aus Elfenbein. Und das dort«, Gäap deutete auf das Fass, »sind ihre Wächter.«
»Bedeutet das, jeder der gesündigt hat, endet hier?«
Gäap lachte sein tiefes, volltönendes Lachen. »Nein. Nur wer in die Fänge der Seelenjäger gerät, endet im Seelenhort, bis ihm vergeben wird oder bis er von einem der Mächtigen als persönlicher Sklave auserwählt wird.«
»Aber es sind so viele«, wisperte Doreé.
»Die Seelenjäger sind sehr effektiv«, erwiderte Gäap.
Doreé konnte nicht sagen, was sie schrecklicher fand. Gehalten zu werden wie ein Tier oder ewig in einer Schachtel eingesperrt zu sein. Seit sie an diesem Ort weilte, erschien ihr die Menschenwelt gar nicht mehr so verderbt und grausam. Die Gegenwelt war viel schlimmer. Aber das sollte eine Hölle wohl auch sein. Ein neuer Gedanke stahl sich in ihr Bewusstsein. »Was geschieht mit den Escortern, wenn sie sterben? Enden sie auch als Sklaven oder eingepfercht in einem Kasten?«
»Natürlich nicht«, beeilte sich Gäap zu versichern. Täuschte sie sich oder erkannte sie einen Anflug von Unbehagen in seinem Gesicht? Aber warum sollte sich ein Dämon unbehaglich fühlen?
Doreé ließ nicht locker. »Was geschieht dann mit ihnen? In die Oberwelt gelangen sie wohl eher nicht, nehme ich an.«
Er lachte schallend los. Die Vorstellung schien ihn zu amüsieren. »Eigentlich dürfen wir nicht darüber sprechen«, sagte er schließlich, nachdem er sich wieder beruhigt hatte.
»Warum nicht?«
Erneut umfasste er ihre Taille und führte sie in die nächste Kammer. »Die Menschen sollen sich vor dem Tod fürchten, Doreé. Das würden sie nicht, wüssten sie, was sie anschließend erwartet.« Er schmunzelte. »Die Escorter erhoffen sich eine Belohnung, eine privilegierte Stellung. Wiedergeburt.«
Wiedergeburt. Ein Zauberwort für viele. »Wird ihre Hoffnung denn erfüllt?«
Er zögerte einen Augenblick, nickte dann. »Ja, für gewöhnlich schon.«
Mittlerweile hatten sie drei weitere Kammern durchquert. Beklommen stelle Doreé fest, dass sich die Menschen in den Fässern zwar nicht bewegten, sie ihnen jedoch mit den Augen folgten, bis sie in der nächsten Kammer verschwanden.
»Beachte sie einfach nicht«, murmelte Gäap und führte sie weiter, diesmal nach links. Nach einem weiteren Dutzend Kammern verlor Doreé die Orientierung. Völlig willkürlich schien Gäap sich durch das Labyrinth aus Räumen zu bewegen. Rechts, links, geradeaus. Das Einzige, was die Räume voneinander unterschied, war der Inhalt der Fässer.
»Wie weit ist es noch?«, fragte Doreé.
Gäap drückte seine Finger in ihre Taille. »Wir sind gleich da.«
Nach einer weiteren Handvoll Kammern durchschritten sie einen halbrunden Torbogen, der in einen finsteren Raum mündete. Kerzen entflammten entlang der Wände, sobald sie eintraten. Bis auf ein Loch in der Mitte war der Raum leer. Ein schwerer, metallischer Duft hing in der Luft, der Doreé Übelkeit verursachte. Angewidert suchte sie nach dem Ursprung des aufdringlichen Geruchs.
Ein leises Platschen zog sie zu dem Loch im Boden. Vorsichtig spähte sie über den Rand. Das war kein Loch wie das, über welchem sie gehangen hatte. Es war ein drei Meter breites, kreisrundes Becken, gefüllt mit Blut. Was sie im ersten Augenblick als diffuse Bewegungen inmitten all dem Rot wahrgenommen hatte, entpuppte sich als menschliche Leiber, die sich wälzten und drehten, sich gegenseitig nach unten drückten, um an die Oberfläche zu gelangen. Sich kratzten und schoben, die Haut übergossen mit Blut und Hoffnungslosigkeit. Flehend streckten sie Doreé die Gesichter und Hände entgegen. Kein Laut drang aus ihren Mündern, doch das Platschen, das die sich windenden Körper verursachten, zerriss die Stille wie Peitschenhiebe, verschärfte den Anblick zu einer grotesken Darbietung menschlicher Grausamkeit. Entsetzt schlug Doreé die Hand vor den Mund. Gäap versuchte nicht, sie zu beruhigen, stand nur still da und betrachtete sie, so wie er sie vor der Bar betrachtet hatte. Forschend, als suchte er nach etwas Verborgenem.
»Ich sollte dich dort hineinwerfen für deinen Verrat.« Seine Stimme klang scharf, unterdrückter Zorn lag darin.
Doreé erschrak. Welcher Verrat , wollte sie fragen,
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