ESCORTER (German Edition)
doch die Worte blieben in ihrem Hals stecken. Tief in sich wusste sie genau, welchen Verrat sie begangen hatte. Es erschien ihr lächerlich, dass ihre Jungfräulichkeit gerade an diesem Ort eine solche Rolle spielen sollte. Gäap trat hinter sie, nah, ganz nah, nur Millimeter trennten seinen Körper von ihrem. »Sieh es dir genau an, Tochter des Boten. Das geschieht mit jenen, die glauben, uns zum Narren halten zu können.«
Sein kalter Atem streifte ihrer Wange, sandte einen eisigen Schauer ihren Rücken hinab.
»Du hast mich belogen«, fuhr er fort. »Mir etwas vorgemacht. Wie kann ich mich jetzt noch mit dir verbinden, wenn ich dir nicht trauen kann? Wenn du nicht das halten kannst, was mir versprochen wurde?«
Seine Hände umfassten ihre Taille, ganz fest, unterwarfen sie seiner Willkür. Er könnte sie an sich ziehen und ihr vergeben oder er könnte sie in das Becken stoßen. Doreé schloss die Augen, sperrte den Anblick der blutigen Leiber und ihren rasenden Herzschlag aus. Ihr Körper zitterte so stark, dass sie bebte. »Warum ist das so wichtig für dich? Ich bin noch dieselbe. Nichts hat sich geändert.«
Jämmerlich klang ihre Stimme, sogar in ihren Ohren.
»Alles hat sich geändert«, zischte er und drückte sie nach vorn.
Doreé stieß einen erschrockenen Laut aus und ruderte mit den Armen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. »Bitte, Gäap. Tu das nicht.«
Seine Finger bohrten sich in ihre Haut, zwangen sie vorwärts, bis die Spitzen ihrer Füße über den Rand ragten.
»Nenne mir einen Grund, warum ich dich nicht hundert Jahre in deinem eigenen Blut schmoren lassen sollte, bevor ich dich zu meiner Sklavin mache.«
Doreé überlegte fieberhaft. Sie musste lügen, und zwar so überzeugend, wie sie nie zuvor gelogen hatte. Dafür musste sie herausfinden, was er wollte. Warum war er dem Ruf des Clans gefolgt?
Macht. Er wollte Macht und eine Spielwiese, wo er diese Macht ausleben konnte, wie ein Kind, das mit seinen Plastiksoldaten im Sandkasten spielt. Bisher hatte er sie als schwach erlebt, ein schwer zu besetzendes Gefäß und eine unwillige Gefährtin noch dazu. Mit einem Seufzer lehnte sie sich zurück und legte ihren Kopf an seine Schulter, unterdrückte den Widerwillen, den sie gegen ihn empfand.
Vertrauen, sie musste sein Vertrauen gewinnen.
»Ich will mich mit dir verbinden«, wisperte sie.
Mit einer Hand fasste sie nach hinten, legte ihre Finger in seinen Nacken. Mit der anderen presste sie ihn noch näher an sich heran. »Ich will eins werden mit dir, damit wir gemeinsam die Welt erobern können.«
Noch immer hing sie über dem Abgrund, doch sein Griff verstärkte sich, zog sie eine Winzigkeit zurück. Sein Interesse war geweckt.
»Beweis es mir«, flüsterte er. »Beweis mir, wie sehr du es willst.«
Keinesfalls durfte er ihre Angst spüren, auch nicht ihre Verzweiflung, sie musste ihre wahren Gefühle verbergen. Langsam wandte sie sich zu ihm um, sorgsam darauf bedacht, nicht abzurutschen. Hingabe. Wie simulierte man Hingabe, wenn man sie nicht fühlte, sie nicht einmal kannte?
»Sag mir, was ich tun soll, und ich tue es.«
Sein Mund lächelte, doch in seinen Augen lag etwas Lauerndes. Er war noch nicht überzeugt.
Aus einer Eingebung heraus stellte sie sich auf die Zehenspitzen und presste ihre Lippen auf seinen Mund. Er hatte einen schönen, menschlichen Körper und perfekt geschwungene Lippen, warum also nicht?
Es schien ihm zu gefallen, denn er erwiderte den Kuss, der ganz anders war als Davids Küsse. Feucht, tief, fordernd. Durch den Kuss verband er sich mit ihr, drang in sie ein, formte Bilder in ihrem Kopf von dem, was er begehrte. Menschenmassen, die ihr, ihm zujubelten. Reihen von Soldaten im Gleichschritt eine breite Straße entlang marschierend. Flugzeuge, Panzer, Bomben. Erinnerungen an seine letzte Anwesenheit in der Menschenwelt.
Ist es das, was du willst? Krieg und Zerstörung ?
Ihre Lippen brannten unter seinem Kuss, während ihr Körper zu Eis erstarrte überall dort, wo er sie berührte. Seine Erinnerungen verblassten. Stattdessen zeigte er ihr ein totes Land. Eine Trümmerwüste, kalt und grau. Sie sah einen mächtigen Mann geschmückt mit Orden. Sie flüsterte ihm ins Ohr, lenkte ihn mit ihren Worten. Unterwürfige, verhärmte Menschen blickten zu ihm, ihr auf, Resignation im Blick.
Das wollte er von ihr. Genau das.
Und wenn sie diese Hölle je wieder verlassen wollte, wenn sie nicht in diesem Becken landen wollte, musste sie es ihm geben, musste
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